Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftliche Identität der Streitgegenstände aus kostenrechtlicher Sicht. Kein Vergleichsmehrwert bei wirtschaftlicher Identität mehrerer Zustimmungsersetzungsanträge
Leitsatz (amtlich)
Wird ein paralleles Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG in einem gerichtlichen Vergleich miterledigt, besteht aufgrund wirtschaftlicher Identität der beiden Zustimmungsersetzungsanträge kein Vergleichsmehrwert.
Leitsatz (redaktionell)
1. Maßgeblich für die Identität der Streitgegenstände ist nicht der zivilprozessuale Streitgegenstand i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, sondern der weitergehende, am Interesse des Antragstellers ausgerichtete, kostenrechtliche Streitgegenstand. Wirtschaftliche Identität liegt danach vor, wenn der eine Antrag sich nur als rechtliche oder natürliche Folge aus dem anderen darstellt oder auf dasselbe Interesse gerichtet ist.
2. Sind mehrere Zustimmungsersetzungsanträge auf dasselbe wirtschaftliche Interesse gerichtet, nämlich die künftige Beendigung des Arbeitsverhältnisses, und werden sie in einem Vergleich erledigt, besteht aufgrund wirtschaftlicher Identität der Zustimmungsersetzungsanträge kein Vergleichsmehrwert.
Normenkette
BetrVG § 103; RVG § 23 Abs. 3 S. 2; GKG § 42 Abs. 2 S. 1, § 45 Abs. 1 S. 2; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; BGB § 626 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Entscheidung vom 16.06.2023; Aktenzeichen 2 BV 6/22) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin (Beteiligte zu Ziffer 1) wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Mannheim vom 16. Juni 2023 - 2 BV 6/22 - wie folgt abgeändert:
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Rechtsanwälte F. G. B. wird auf EUR 14.273,67 festgesetzt; ein Vergleichsmehrwert besteht nicht.
Gründe
I.
Gegenstand des Beschlussverfahrens war ein Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats (Beteiligter Ziffer 2) zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 103 BetrVG. Das Verfahren endete durch einen Vergleich vom 17. Mai 2023, durch welchen das Arbeitsverhältnis des Betriebsratsmitglieds gegen Zahlung einer Abfindung beendet wurde. Darüber hinaus wurden zwei parallele Beschlussverfahren miterledigt, deren Streitgegenstand ebenfalls eine Zustimmungsersetzung gemäß § 103 BetrVG war, gestützt auf weitere Kündigungssachverhalte.
Wegen des Sach- und Streitstandes bis zur Vorlage an das Beschwerdegericht wird ergänzend auf die Sachverhaltswiedergabe im angegriffenen Beschluss in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft (§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG), sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) und auch im Übrigen zulässig.
Die Beschwerde ist auch begründet. Ein Vergleichsmehrwert für die Miterledigung der beiden parallelen Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 BetrVG besteht aufgrund wirtschaftlicher Identität nicht.
1. Gegenstandswert
Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert zutreffend mit einem Quartalsverdienst bemessen. Nach Ziffer II.19. des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 09.02.2018 (im Folgenden: "SWK 2018", NZA 2018, 497 ff.) ist bei Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 BetrVG aufgrund der präjudiziellen Wirkung im Hinblick auf ein Kündigungsschutzverfahren eine Vierteljahresvergütung maßgebend. Die Streitwertbeschwerdekammer folgt angesichts der hohen Bedeutung einer bundeseinheitlichen Streitwertrechtsprechung grundsätzlich den Empfehlungen der Streitwertkommission. Das Arbeitsgericht zitiert als Rechtsgrundlage zutreffend die Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG in Anlehnung an § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG.
2. Kein Vergleichsmehrwert
Ein Vergleichsmehrwert besteht nicht, weil bei gedachter Geltendmachung der beiden weiteren parallelen Zustimmungsersetzungsanträge im vorliegenden Verfahren diese nicht zu einer Werterhöhung führen würden.
a) Das Arbeitsgericht geht rechtsfehlerfrei davon aus, dass vergleichsweise miterledigte, anderweitig rechtshängige Gegenstände grundsätzlich nur dann zu einem Vergleichsmehrwert führen, wenn sie bei gedachter Geltendmachung in einem Verfahren zu einer Werterhöhung führen würden. Dies ergibt sich aus Ziffer I.25.1., 2. Absatz SWK 2018 und entspricht der ständigen Rechtsprechung des LAG Baden-Württemberg (z.B. vom 27. Juni 2019 - 5 Ta 52/19 - juris).
b) Bei der Frage, ob bei unterstellter Geltendmachung in einem Verfahren eine Werterhöhung eintreten würde, sind die Begrenzungsvorschriften des GKG, insbesondere der sich aus dem Rechtsgedanken des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG folgende Grundsatz der wirtschaftlichen Identität, zu beachten (LAG Baden-Württemberg 27. Juni 2019 - a.a.O., Rn. 20 f.).
c) Maßgeblich für die Identität der Gegenstände ist insoweit nicht der zivilprozessuale Streitgegenstand i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, sondern der weitergehende, am Interesse des Antragstellers ausgerichtete, kostenrechtliche Streitgegenstand. Wirtschaftliche Identität liegt danach...