Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstandswert für anwaltliche Verhandlung von nicht rechtshängigen Gegenständen außerhalb der vergleichsweisen Einigung neben der Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren
Leitsatz (amtlich)
In einem arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren kommt neben der Festsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgebenden Werts gemäß § 63 Abs. 2 GKG auch die hiervon nicht erfasste Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit gemäß § 33 RVG für die Verhandlung von nicht rechtshängigen Gegenständen, über die kein Vergleich zustande gekommen ist, in Betracht (Aufgabe von 25. Juli 2011 - 5 Ta 77/11- ).
Normenkette
GKG § 63 Abs. 2; TVG § 23 Abs. 1 S. 1, § 32 Abs. 1; RVG § 33; VV-RVG Nr. 3101 Ziff. 2, Nr. 3104 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 28.07.2015; Aktenzeichen 11 Ca 1026/15) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 28.07.2015 - 11 Ca 1026/15 - abgeändert.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts P. für die Verhandlung zur Einigung über die von der Beklagten geltend gemachten Schadensersatzansprüche wird auf 92.386,18 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beschwerde betrifft die Festsetzung des Wertes der Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers für die Verhandlung von nicht rechtshängigen Gegenständen in einem arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren, in dem kein Vergleich zustande gekommen ist.
Im Ausgangsverfahren begehrte der Kläger von seiner ehemaligen Arbeitgeberin Abrechnung über die Vergütung für Dezember 2014, Zahlung von Vergütung für November 2014, für Überstunden sowie Urlaubsabgeltung in Höhe von insgesamt 6.429,50 € brutto und ein qualifiziertes Beendigungszeugnis. Die Beklagte rechnete gegen die Zahlungsansprüche mit vom Kläger bestrittenen Schadensersatzansprüchen in Höhe von 92.386,18 € auf. Diese waren Gegenstand der mündlichen Kammerverhandlung und sollten nach dem dort geschlossenen, von der Beklagten jedoch fristgerecht widerrufenen Vergleich miterledigt sein. Der Rechtsstreit endete durch Urteil, in dem die Aufrechnung der Beklagten mit den behaupteten Schadensersatzansprüchen als unzulässig zurückgewiesen wurde.
Das Arbeitsgericht hat den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert gemäß § 63 Abs. 2 GKG auf 9.369,50 € (140,00 € ≪= 5 % des abzurechnenden Bruttobetrags für Dezember 2014≫ zuzüglich 6.429,50 € ≪= der Nennwert der eingeklagten Zahlungsansprüche≫ und 2.800,00 € ≪= eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung des Klägers für das qualifizierte Beendigungszeugnis≫) festgesetzt und eine Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers gemäß § 33 Abs. 1 RVG mit der Begründung abgelehnt, eine Wertfestsetzung nach der letztgenannten Vorschrift setze eine (gewesene) Anhängigkeit des betreffenden Gegenstands vor Gericht voraus. Dies sei betreffend die von der Beklagten erfolglos zur Aufrechnung gestellten Schadensersatzansprüche nicht der Fall gewesen, weshalb eine von dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert abweichende Festsetzung gemäß § 33 Abs. 1 RVG nicht in Betracht komme.
Mit der vom Arbeitsgericht nicht abgeholfenen Beschwerde verfolgt der Prozessbevollmächtigte des Klägers sein Anliegen weiter.
II.
Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist statthaft (§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG; sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) und auch im Übrigen zulässig und begründet. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers kann die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für die Verhandlung über die nicht rechtshängig gewesenen Schadensersatzansprüche der Beklagten verlangen (1.). Der Gegenstandswert beträgt 92.386,18 € (2.).
1. Im Streitfall ist (ausnahmsweise) Raum für eine Wertfestsetzung gemäß § 33 Abs. 1 RVG neben einer Festsetzung gemäß § 63 Abs. 2 GKG.
a) Grundsätzlich bindet § 32 Abs. 1 RVG die Gebühren des Rechtsanwalts an den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert. Diese Bindung bleibt auch bei einer zum Wegfall der Gerichtsgebühren führenden Beendigung des Rechtsstreits (beispielsweise durch Vergleich oder Klagerücknahme vor streitiger Verhandlung) bestehen. Denn auch in einem solchen Fall ist eine Wertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 GKG vorzunehmen (erkennende Kammer 25. Juli 2011 - 5 Ta 77/11 - [...] Rn 27) und damit nach § 32 RVG auch für die Gebühren des Rechtsanwalts bindend (vgl. Hartmann Kostengesetze 45. Aufl. § 32 RVG Rn. 3). Ein Wertfestsetzungsverfahren gemäß § 33 RVG kommt daneben nicht in Betracht, denn die Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG für die Rechtsanwaltsgebühren ist gegenüber der Wertfestsetzung gemäß § 32 Abs. 2 RVG subsidiär (Hartmann Kostengesetze 45. Aufl. § 33 RVG Rn. 3). Dem Rechtsanwalt steht kein Wahlrecht zwischen dem Antrag nach § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG in Verbindung mit § 63 Abs. 2 GKG und dem Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG zu. Nach § 23 Abs. 1 Sa...