Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Weiterbeschäftigungstitel wegen Entfallens des Beschäftigungsbedarfs
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn erst nach Einlegung der Berufung ein Umstand eintritt, der einem Weiterbeschäftigungsanspruch entgegen stehen könnte, kann die Zwangsvollstreckung nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG iVm. §§ 707, 719 ZPO nur vorläufig eingestellt werden, wenn die Vollstreckung dem Beklagten einen nicht zu ersetzenden Nachteil iSv. § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bringen würde.
Normenkette
ArbGG § 62 Abs. 1; ZPO § 707 Abs. 1, § 719 Abs. 1, §§ 767, 769
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 23.05.2017; Aktenzeichen 27 Ca 477/16) |
Tenor
Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 23.05.2017 - 27 Ca 477/16 - mit sofortiger Wirkung bis zur Verkündung einer Entscheidung über den Weiterbeschäftigungsanspruch im anhängigen Berufungsverfahren vorläufig einzustellen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beklagte begehrt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem mit der Berufung angegriffenen Urteil des Arbeitsgerichts in Bezug auf die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Das Arbeitsgericht hat im angegriffenen Urteil vom 23. Mai 2017, das der Beklagten am 24. Juli 2017 zugestellt worden ist, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch eine betriebsbedingte Kündigung vom 23. Dezember 2016 nicht zum 31. Dezember 2017 beendet wird. Darüber hinaus hat es die Beklagte verurteilt, den Kläger als Bereichsleiter Betriebswirtschaft vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsverfahrens weiter zu beschäftigen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Beklagte habe nicht hinreichend dargelegt, dass der Beschäftigungsbedarf im Tätigkeitsbereich des Klägers entfallen sei. Dem Sachvortrag der Beklagten lasse sich nicht entnehmen, dass die bislang vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten problemlos vom neuen kaufmännischen Geschäftsführer miterledigt werden könnten. Die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung ergebe sich auch aus dem Grundsatz des Vorrangs der Änderungskündigung. Die Beklagte habe zunächst beabsichtigt, dem Kläger eine andere, projektbezogene Tätigkeit zuzuweisen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger ein solches Angebot definitiv ausgeschlagen habe.
Mit Schriftsatz vom 9. August 2017, am selben Tage beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg eingegangen, hat die Beklagte Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts eingelegt. Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, der Beschäftigungsbedarf im Tätigkeitsbereich des Klägers sei vollständig entfallen. Die Beklagte habe die - ausreichend dargelegte - Entscheidung getroffen, dass die Aufgaben des Klägers durch einen zusätzlichen, seit 1. September 2016 beschäftigten Geschäftsführer übernommen würden. Die Beklagte habe dem Kläger auch keine anderen, projektbezogenen Tätigkeiten zuweisen müssen. Die vom Arbeitsgericht in Bezug genommenen projektbezogenen Tätigkeiten seien bei der Beklagten nicht vorhanden.
Mit Schriftsatz vom 17. November 2017 beantragt die Beklagte hilfsweise, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer ins Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung, die jedoch 100.000,00 € nicht überschreiten soll, zum 31. Dezember 2017 aufzulösen. Der Auflösungsantrag bedürfe keiner Begründung, da der Kläger leitender Angestellter im Sinne von § 14 Abs. 2 KSchG sei. Er sei Prokurist und als Leiter des Geschäftsbereichs Betriebswirtschaft Mitglied der Geschäftsleitung. Er habe auf Arbeitgeberseite Betriebsvereinbarungen unterzeichnet und sei zur selbstständigen Einstellung und Entlassung der Mitarbeiter seines Bereichs berechtigt. Im Jahr 2016 habe er drei Arbeitnehmer eingestellt.
Im Übrigen sei die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts mit sofortiger Wirkung vorläufig einzustellen. Dies könne die Beklagte in entsprechender Anwendung des § 769 ZPO im Rahmen des § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG verlangen. Der Weiterbeschäftigungsanspruch sei aufgrund des nunmehr gestellten Auflösungsantrags erloschen. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Vollstreckung für die Beklagte einen nicht zu ersetzenden Nachteil mit sich bringe. § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG sei teleologisch für den Fall einzuschränken, dass gegen den zu vollstreckenden Anspruch Einwendungen geltend gemacht würden, die erst nach Abschluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz entstanden seien. Im Übrigen könne die Beklagte die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aber auch gem. § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. §§ 719, 707 ZPO verlangen. Aus der weiteren Beschäftigung des Klägers würde sich ein nicht zu ersetzender Nachteil ergeben. Durch die zwischenzeitliche Beschäftigung des Klägers würde die in seinem früheren Bereich neu geschaffene Struktur einstweilen zerschlagen. Die Arbeitnehmer müssten sich erneut an einen neuen "Chef" gewöhnen und anschließend - nach erfolgter Abweisung der Kü...