Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
Die Zwangsvollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs kann nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. §§ 707, 719 ZPO nur vorläufig eingestellt werden, wenn die Vollstreckung dem Beklagten einen nicht zu ersetzenden Nachteil i.S.v. § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bringen würde. Dies gilt auch dann, wenn der Beklagte erstmalig im Berufungsverfahren einen Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 KSchG stellt. § 769 ZPO ist nicht entsprechend anzuwenden und § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG einschränkend auszulegen (Anschluss an LAG Baden-Württemberg 14. Dezember 2017 - 17 Sa 84/17; a.A. LAG Düsseldorf 25. Februar 2022 - 4 Sa 37/22 -).
Normenkette
ArbGG § 62 Abs. 1 Sätze 3, 2; ZPO §§ 707, 719; KSchG § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Pforzheim (Entscheidung vom 30.11.2023; Aktenzeichen 3 Ca 114/23) |
Tenor
Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 30. November 2023 - 3 Ca 114/23 - vorläufig einzustellen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die beklagte Arbeitgeberin begehrt mit der am 27. Februar 2024 eingereichten Berufung die Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils i.S.d. Abweisung der Kündigungsschutzanträge und die (einstweilige) Einstellung der Zwangsvollstreckung, soweit sie zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Kündigungsschutzverfahren verurteilt wurde. Sie hat mit der Berufungsschrift den Hilfsantrag angekündigt und begründet, das Berufungsgericht möge das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung auflösen.
Der Kläger ist seit dem 1. September 1997 als Werkzeugmechaniker für die Beklagte tätig. Am 2. März 2023 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und einem Arbeitskollegen. Deswegen kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis unter dem 16. und unter dem 21. März 2023 außerordentlich bzw. ordentlich. Wegen Äußerungen des Klägers im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht am 20. Juni 2023 erklärte die Beklagte unter dem 7. und unter dem 12. Juli 2023 erneut die außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil des 30. November 2023, der Beklagten zugestellt am 31. Januar 2024, festgestellt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Kündigungen nicht aufgelöst worden und der Kläger sei deswegen von der Beklagten weiter zu beschäftigen. Zur Durchsetzung der Beschäftigungspflicht leitete der Kläger mit Antrag vom 26. Februar 2024 die Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO ein.
Die Beklagte macht geltend, sämtlichen Kündigungen lägen hinreichende Kündigungsgründe zugrunde. Zu Unrecht meine das Arbeitsgericht, die Wirksamkeit der Kündigungen vom 16. und vom 21. März 2023 scheitere an einer fehlerhaften Beteiligung des Betriebsrats. Außerdem lägen Gründe für die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor. Das Vertrauensverhältnis sei nachhaltig zerstört. Der Kläger habe am 2. März 2023 einen Kollegen körperlich attackiert und der Beklagten am 20. Juni 2023 vorgeworfen, ihn aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen, um ihm angebliche finanzielle Ansprüche aus einem Verbesserungsvorschlag zu entziehen.
Der - erstmals im Berufungsverfahren gestellte - Auflösungsantrag führe zu einer (zusätzlichen) Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und begründe ein schutzwürdiges Interesse an der Nichtbeschäftigung des Klägers für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei wahrscheinlich und der Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung damit bereits begründet.
Der Kläger tritt dem Antrag entgegen. Die Beklagte biete weder eine Sicherheitsleistung an noch lege sie dar, die Vollstreckung bringe ihr einen nicht zu ersetzenden Nachteil. Der Auflösungsantrag lasse die vorläufige Vollstreckbarkeit des zugesprochenen Weiterbeschäftigungsanspruchs ins Leere laufen. Die Kündigungen seien offensichtlich unwirksam und der Auflösungsantrag unbegründet. Das Beschäftigungsinteresse des Klägers überwiege.
II.
Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 1 ZPO an sich statthaft.
Der Antrag der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig. Ihm steht nicht entgegen, dass die Beklagte vor dem Arbeitsgericht keinen Antrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gestellt hat, die vorläufige Vollstreckbarkeit im Urteil auszuschließen. Die Anträge sind voneinander unabhängig (LAG Baden-Württemberg 14. Dezember 2017 - 17 Sa 84/17 - Rn. 11, juris; 20. Januar 2016 - 19 Sa 63/15 - Rn. 8, juris, jeweils m.w.N.). Im Übrigen stützt die Beklagte das Einstellungsbegehren auf den Auflösungsantrag, den sie erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht im Berufungsverfahren zum Verfahrensgegenstand gemacht hat.
2. Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstre...