Entscheidungsstichwort (Thema)
einstweilige Verfügung des Betriebsrats auf Unterlassung der geplanten Betriebsänderung. kein allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrats
Leitsatz (redaktionell)
Es besteht Anspruch des Betriebsrats im Fall des Verstoßes des Arbeitgebers gegen § 111 BetrVG auf Unterlassung der Betriebsänderung bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich.
Normenkette
BetrVG § 23 Abs. 3, §§ 87, 113, 112 Abs. 4 S. 2, § 111
Verfahrensgang
ArbG Ulm (Beschluss vom 30.07.2009; Aktenzeichen 6 BVGa 1/09) |
ArbG Ulm (Beschluss vom 26.06.2009; Aktenzeichen 6 BVGa 1/09) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Ulm – Kammern Ravensburg – vom 30.07.2009 – 6 BVGa 1/09 – abgeändert.
Der Beschluss des Arbeitsgerichts Ulm – Kammern Ravensburg – vom 26.06.2009 – 6 BVGa 1/09 – wird aufgehoben.
Der Antrag des Betriebsrats wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die Sachverhaltswiedergabe im angegriffenen Beschluss Bezug genommen. Im Übrigen wird von der Darstellung des Sachverhalts abgesehen, da der Beschluss des Beschwerdegerichts der Rechtsbeschwerde nicht unterfällt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 2 Satz 1 und 2, 66 Abs. 1, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG) und auch im Übrigen zulässig und begründet. Es kann dahinstehen, ob die von der Arbeitgeberin beabsichtigte Kündigung gegenüber sämtlichen bei ihr tätigen Heimarbeitern eine Betriebsänderung gemäß § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG oder gar gemäß § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG darstellt. Denn der dadurch ausgelöste Beratungsanspruch des Betriebsrats gemäß § 111 Satz 1 BetrVG wäre nicht durch eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung der geplanten Betriebsänderung bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich gemäß § 112 BetrVG einschließlich der Verhandlungen in der Einigungsstelle sicherbar. Es fehlte an einem Verfügungsanspruch.
1. Ein solcher Anspruch ist im Gesetz selbst nicht vorgesehen. Der nach § 23 Abs. 3 BetrVG vorgesehene Sanktionsanspruch setzt zur Verhängung der dort vorgesehenen Sanktionen eine „rechtskräftige” Entscheidung der Arbeitsgerichte voraus; da einstweilige Verfügungen wegen der Möglichkeit, durch Widerspruch die Durchführung des Hauptsacheverfahrens zu erzwingen, nicht in Rechtskraft erwachsen, sind sie zur Durchsetzung des Unterlassungsanspruches im Wege einstweiliger Verfügung, wie er vorliegend zur Entscheidung ansteht, nicht geeignet (LAG Nürnberg 09.03.2009 – 6 TaBVGa 2/09 – Rdnr. 26).
2. Der Anspruch besteht nicht als sog. „allgemeiner Unterlassungsanspruch” (vgl. hierzu BAG 03.05.1994 – 1 ABR 24/93 – AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972).
a) Das Bundesarbeitsgericht (a.a.O.) hat derartige Unterlassungsansprüche des Betriebsrats ausdrücklich auf die Abwehr von Verletzungen der Betriebsratsrechte nach § 87 BetrVG beschränkt. Es hat das Bestehen dieses Anspruches damit begründet, entweder der Unterlassungsanspruch bestehe als selbständiger Nebenleistungsanspruch unmittelbar aus § 87 BetrVG oder er ergebe sich aus der besonderen Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, die gerade bei § 87 BetrVG besonders ausgeprägt sei. Dort könne der Arbeitgeber Maßnahmen nur mit Zustimmung des Betriebsrats durchführen, so dass bei einem Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht eine betriebsverfassungswidrige Lage entstehe. Ob dies auch bei Verstößen gegen andere Mitbestimmungsrechte gelte, hat das BAG offen gelassen.
b) Dagegen hat das Bundesarbeitsgericht (28.08.1991 – 7 ABR 72/90 – AP Nr. 2 zu § 85 ArbGG 1979) einen im Wege einstweiliger Verfügung erzwingbaren Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung der Demontage und des Abtransports von Maschinen mit dem Ziel, die sich aus einem abgeschlossenen Interessenausgleich ergebenden Pflichten des Arbeitgebers zu sichern, verneint. Es hat dies unter anderem damit begründet, auch ein abgeschlossener Interessenausgleich begründe keinen Anspruch des Betriebsrats auf dessen Einhaltung. Vielmehr enthalte das Gesetz insoweit in § 113 BetrVG eine eigene und abgeschlossene Sanktionsregelung (ähnlich auch BAG 22.02.1983 – 1 ABR 27/81 – AP Nr. 2 zu § 23 BetrVG 1972).
c) Dies gilt auch für den Bereich der Verletzung der Informations- und Beratungsrechte des Arbeitgebers bei einer Betriebsänderung (LAG Nürnberg 09.03.2009 – 6 TaBVGa 2/09 – Rdnr. 28). Der im Bereich des § 87 BetrVG zu bejahende Unterlassungsanspruch soll den Arbeitgeber hindern, vorläufig vollendete Tatsachen zu schaffen, die er im Hinblick auf die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ohne dessen Zustimmung – oder die Regelung durch die Einigungsstelle – nicht durchführen darf. Dabei ist völlig offen, ob es ihm gelingt, die Zustimmung des Betriebsrats später zu gewinnen oder die geplante Regelung durch einen Spruch der Einigungsstelle zu erhalten. Die vom Arbeitgeber geplante Maßnahme darf also – im...