Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Unterlassung von Kündigungen in der Phase der Durchführung eines Interessenausgleichs
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Betriebsrat hat keinen im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbaren Anspruch, dass der Arbeitgeber die Durchführung einer geplanten Betriebsänderung sowie personelle Maßnahmen wie Kündigungen oder Versetzungen unterlässt, bis der Arbeitgeber seinen Informations- und Beratungspflichten vollumfänglich nachgekommen ist und hinreichend versucht hat, einen Interessenausgleich abzuschließen. 2. Weitergehende Unterlassungsansprüche als den zur Sicherung des Verhandlungs- und Beratungsanspruchs des Betriebsrats nach den §§ 111, 112 BetrVG fordert die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer betreffende Richtlinie 2002/14/EG nicht.
Normenkette
BetrVG §§ 111-112
Verfahrensgang
ArbG Würzburg (Entscheidung vom 29.02.2024; Aktenzeichen 2 BVGa 1/24) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg - Kammer Aschaffenburg - vom 29.02.2024, Aktenzeichen 2 BVGa 1/24, abgeändert und der Antrag zurückgewiesen.
Gründe
i.
Die Beteiligten streiten im Wege einer einstweiligen Verfügung über die Verpflichtung der Beteiligten zu 2 zur Unterlassung von Kündigungen bis zum Abschluss oder des Scheiterns eines Interessenausgleichs.
Die Beteiligte zu 2 entwickelt und stellt leistungsstarke Batterien her. Sie beschäftigt am Standort A-Stadt mehr als 750 Arbeitnehmer. Der Beteiligte zu 1 ist der bei der Arbeitgeberin gebildete, aus 13 Mitgliedern bestehende, Betriebsrat.
Am 15.11.2023 wurde der Beteiligte zu 1 von der Beteiligten zu 2 darüber informiert, dass beabsichtigt sei, sich von insgesamt ca. 160 Beschäftigten betriebsbedingt zu trennen. Am 16.11.2023 wurden die Beschäftigten im Rahmen einer Betriebsversammlung informiert. Nach mehrfacher Aufforderung erhielt der Beteiligte zu 1 am 13.12.2023 die Power-Point-Präsentation zur "Neuausrichtung C." vom 16.11.2023, in der es u.a. heißt:
Ist-Personal |
Umsetzung |
Fachbereiche |
798 MA |
-≫ 31.03. |
1. Produktion |
|
|
2. Service Center |
|
|
3. ... alle Bereiche |
Soll-Personal |
Reduzierung |
|
640 MA |
20 % |
|
Zwischen den Beteiligten fanden zu Beginn des Jahres 2024 mehrere Gespräche statt. In einem Termin am 01.02.2024 unterbreitete der Beteiligte zu 1 der Beteiligten zu 2 einen Vorschlag für einen Sozialplan und ein Freiwilligenprogramm, der neben Regelungen zu Abfindungen auch die Errichtung einer Transfergesellschaft beinhaltet. Die Beteiligte zu 2 hat im Folgenden eine Transferberatung mit der Agentur für Arbeit durchgeführt, an der auch Vertreter des Beteiligten zu 1 teilnahmen.
Am 21.02.2024 erhielt der Beteiligte zu 1 nach Ende seiner Bürozeit die Anhörung zu insgesamt 24 betriebsbedingten Kündigungen von Einrichtern.
Mit am 22.02.2024 eingegangenem Antrag vom selben Tag hat der Beteiligte zu 1 geltend gemacht, er sei bislang unzureichend über die geplante Betriebsänderung i. S. v. § 111 BetrVG unterrichtet worden. Ein Interessenausgleichsentwurf sei nicht vorgelegt worden. Die Beteiligte zu 2 habe ihn aber zu unterrichten und mit ihm über einen Interessenausgleich zu beraten und zu verhandeln, bevor die Betriebsänderung umgesetzt werde. Die Interessenausgleichsverhandlungen seien weder abgeschlossen noch gescheitert. Die beabsichtigten Kündigungen seien Teil der betriebsändernden Maßnahmen. Die Kündigungen seien damit eine (Teil-)Vorwegnahme der Betriebsänderung.
Der Beteiligte zu 1 hat erstinstanzlich beantragt,
- der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, es zu unterlassen, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, ohne dass zuvor die Interessenausgleichsverhandlungen, ggf. vor der Einigungsstelle, beendet worden sind;
- der Antragsgegnerin für jeden Fall des Verstoßes gegen die Verpflichtungen aus Ziffer 1 ein Ordnungsgeld anzudrohen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird.
Die Beteiligte zu 2 hat erstinstanzlich beantragt:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 2 hat vorgetragen, es mangele bereits an einem Verfügungsanspruch. Es gebe generell keinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats in Bezug auf Kündigungen. Die Kündigung von 24 Einrichtern stelle auch keine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG dar. Der Betriebsrat habe zudem keinen Verfügungsgrund dargelegt.
Mit Beschluss vom 29.02.2024 hat das Arbeitsgericht die Beteiligte zu 2 antragsgemäß zur Unterlassung des Ausspruchs von Kündigungen verpflichtet. Der Beteiligte zu 1 habe das Verfahren ordnungsgemäß eingeleitet, nachdem dieser im Rahmen der Sitzung am 22.02.2024 einen entsprechenden Beschluss gefasst habe. Ein Verfügungsanspruch liege vor. Dieser folge aus den Beteiligungsrechten des Beteiligten zu 1 aus §§ 111 ff. BetrVG unter Berücksichtigung der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung nach Maßgabe der Richtlinie 2002/14/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 11.03.2002. Für die Rechte des Betriebsrats auf Unterrichtung, Beratung und Verhandlung mit dem Ziel eines Interessenausgl...