Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstandswert für Beschlussverfahren zur Unterlassung der Durchführung einer geplanten Betriebsänderung bei Betroffenheit einer Vielzahl Beschäftigter sowie weiterer Anträge zu Teilbetrieben und Abteilungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Den Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit (§ 33 Abs. 1 RVG) bilden in Zivilverfahrensrechtssachen die Streitgegenstände (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO); jeder von ihnen ist der Bewertung zuzuführen und anschließend die Frage zu entscheiden, ob diese mehreren Werte ganz oder teilweise zusammenzurechnen sind oder nicht.
2. Die Frage nach der Addition von Gegenstandswerten ist nicht aus § 22 Abs. 1 RVG zu beantworten, da diese Bestimmung nichts darüber aussagt, ob eine Zusammenrechnung zum Zwecke der Erhöhung des Gegenstandswerts vorzunehmen ist; heranzuziehen sind vielmehr im Wege der Analogie Bestimmungen und Grundsätze des für die Bemessung der Gerichtsgebühren maßgebenden Rechts.
3. Nichtvermögensrechtliche Gegenstände im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 RVG sind solche, die nicht auf Geld oder geldwerte Leistungen gehen, nicht in Ansprüche auf Geld umwandelbar sind und ihren Ursprung in Verhältnissen haben, denen kein Vermögenswert zukommt.
4. Für die Festsetzung des Gegenstandswerts in Beschlussverfahren, die auf die Unterlassung der Durchführung einer geplanten Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG gerichtet sind, gibt es im Wesentlichen zwei verschiedene Lösungsansätze: Zum Teil wird vom Anknüpfungswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 RVG in Höhe von 4.000 Euro ausgegangen und dieser regelmäßig entsprechend den allgemeinen Grundsätzen nach billigem Ermessen erhöht, wobei häufig als Sockelbetrag durch pauschale Verdoppelung ein (Basis-) Wert von 8.000 Euro angenommen wird, der je nach Umfang der Betriebsänderung und der Bedeutung der Angelegenheit für den gesamten Betrieb, das betroffene Unternehmen und/oder die Beschäftigten zum Teil um ein Vielfaches aufgestockt wird, so dass es je nach Lage des Falls und der im Rahmen billigen Ermessens zu berücksichtigenden Umstände zur Annahme höchst unterschiedlicher Gegenstandswerte kommt; zum anderen wird nach überwiegender Ansicht der vom Anknüpfungswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 RVG entsprechend der Anzahl der betroffenen Beschäftigten nach konkret festgelegten Kriterien erhöht, wobei etwa im Rahmen der Bewertungsstaffel für die einzelnen Beschäftigten ein Teilwert in Ansatz zu bringen ist.
5. Bewegt sich das Arbeitsgericht mit seiner getroffenen Festsetzung in dem von der überwiegenden Meinung vertretenen Rahmen und sind auch die wertbildenden Faktoren angemessen berücksichtigt worden, erweist sich die Wertfestsetzung als ermessensfehlerfrei, weshalb es hierbei zu verbleiben hat und es nicht darauf ankommt, ob das Beschwerdegericht bei einer eigenen Ermessensentscheidung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
6. Bilden weitere Anträge lediglich eine Vorfrage des Unterlassungsantrags, der alle von der Betriebsänderung betroffenen Beschäftigten umfasst, sind diese Anträge auch wertmäßig vollinhaltlich im Unterlassungsantrag enthalten; die Werte der Anträge sind deshalb nicht zusammenzurechnen sondern es ist allein vom höheren (oder jedenfalls mindestens gleich hohen) Wert des Unterlassungsantrag auszugehen.
Normenkette
RVG § 22 Abs. 1, § 23 Abs. 3 S. 2 Hs. 2, § 33 Abs. 1; GKG § 45 Abs. 1 Sätze 2-3; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; BetrVG § 111
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Entscheidung vom 12.02.2013; Aktenzeichen 5 BV 7/12) |
Tenor
1.
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 12.02.2013 - 5 BV 7/12 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Rechtsanwälte Dr. Woeller und Koll., Bahnhofstr. 2, 35576 Wetzlar, wird auf 53.333,33 € festgesetzt.
2.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beschwerde betrifft die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren.
Der Beteiligte zu 1 des Ausgangsverfahrens ist der bei der Beteiligten zu 2 des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: "Arbeitgeberin") eingerichtete 9-köpfige Betriebsrat. Er hat von der Arbeitgeberin verlangt, bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich den Vollzug einer geplanten Betriebsänderung zu unterlassen, von der ca. 80 von insgesamt ca. 300 Mitarbeitern betroffen wären.
Die Anträge zu 1 bis 5 betrafen einzelne Teilbetriebe, Abteilungen und Geräte, deren Fremdvergabe, Schließungen und/oder Umorganisation unterlassen werden sollten, der Antrag zu 6 den Ausspruch von Beendigungs-, Änderungskündigungen und Versetzungen.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge zu 1 bis 5 mit jeweils 4.000,00 €, den Antrag zu 6 mit 53.333,33 € (80 x 666,66 €) bewertet und ist nach einer Werteaddition zu einem Gesamtgegenstandswert von 73.333,33 € gelangt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Arbeitgeberin, mit der eine Herabs...