Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss von Interessenausgleich und Sozialplan. Zur Frage doppelter Rechtshängigkeit im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren
Leitsatz (redaktionell)
Ist der Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG für den Abschluss eines Interessenausgleiches zuständig, so folgt hieraus nicht automatisch die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates für den späteren Sozialplan (im Anschluss an BAG, Beschluss vom 23.10.2002 - 7 ABR 55/01).
Die Regelungen in einem vom Gesamtbetriebsrat geschlossenen Interessenausgleich können dazu führen, dass für den abzuschließenden Sozialplan ebenfalls der Gesamtbetriebsrat zuständig ist, namentlich wenn der Sozialplan auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu berücksichtigen hat.
Normenkette
BetrVG § 50 Abs. 1, § 111 Abs. 1, § 112 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Beschluss vom 24.06.2004; Aktenzeichen 4 BV 172/03) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1/Arbeitgeberin und die Anschlußbeschwerde des Beteiligten zu 6/Betriebsrats Köln/Essen wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24.06.2004 – 4 BV 172/03 – abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass der Beteiligte zu 2/Gesamtbetriebsrat für den Abschluss der Gesamtbetriebsvereinbarung „Nahumzüge” (Sozialplan) vom 31.07.2003 zuständig war.
- Im übrigen wird der Antrag der Beteiligten zu 1/Arbeitgeberin als unzulässig abgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
A.
Die Parteien streiten über die Frage, ob der Gesamtbetriebsrat nicht nur für den Abschluss eines Interessenausgleichs, sondern auch für den eines Sozialplans zuständig war.
Die zu 1) beteiligte Arbeitgeberin ist das deutsche Unternehmen eines IT-Konzerns. Aufgrund des weltweiten Zusammenschlusses dieses Konzerns mit dem C.-Konzern bildete sich in Deutschland eine betriebliche Doppelstruktur heraus, weil sowohl die Beteiligte zu 1) als auch die vormalige C. C. GmbH in allen größeren Ballungsräumen Betriebe unterhielten. Zwecks Beseitigung dieser Doppelstruktur schloss die Beteiligte zu 1) mit dem bei ihr bestehenden Gesamtbetriebsrat, dem Beteiligten zu 2), am 31.07.2003 den Interessenausgleich „Nahumzüge 2003/2004” (Blatt 9 – 15 der Akten 1. Instanz) ab. Dieser sieht u. a. vor, dass der Betrieb der Beteiligten zu 1) in T. bei M. und der ursprüngliche C.-Betrieb in J./F. bei M. in ein Gebäude in D. bei M. umziehen sowie der Betriebsteil E. des ursprünglichen C.-Betriebs in K., der als solcher bestehen bleibt, in den Betrieb der Beteiligten zu 1) in R. eingegliedert wird. Zugleich hat die Beteiligte zu 1) mit dem Beteiligten zu 2) am 31.07.2003 die Gesamtbetriebsvereinbarung „Nahumzüge” (Blatt 16 – 20 der Akten 1. Instanz) abgeschlossen, die den Ausgleich von Nachteilen bei Nahumzügen (bis zu einer Entfernung von maximal 50 km) von Betriebsabteilungen, Betriebsteilen oder Betrieben regelt.
Der zu 4) beteiligte – ehemalige – Betriebsrat des Betriebs J./F. und der zu 6) beteiligte Betriebsrat des Betriebs K./E. haben gegenüber den Beteiligten zu 1) und 2) geltend gemacht, sie seien zuständig für den Abschluss des Sozialplans für die von der Zusammenlegung der Betriebe J./F. und T. im neuen Betrieb D. bzw. der Eingliederung des Betriebsteils E. des Kölner Betriebs in den Betrieb R. betroffenen Arbeitnehmer. Sie erwirkten jeweils die Einrichtung einer Einigungsstelle. Der von der im Betrieb K./E. gebildeten Einigungsstelle am 09.01.2004 gefällte Spruch (Blatt 68 – 70 der Akten 1. Instanz) sowie der von der im Betrieb J./F. gebildeten Einigungsstelle am 09.02.2004 gefällte Spruch (Blatt 93 – 95 der Akten 1. Instanz) wurden jeweils von der Beteiligten zu 1) gerichtlich angefochten. Das Anfechtungsverfahren vor dem Arbeitsgericht München wurde durch Rücknahme des Antrags durch die Beteiligte zu 1) erledigt. Das vor dem Arbeitsgericht Köln unter dem Aktenzeichen 9 BV 12/04 anhängige Anfechtungsverfahren wird von der Beteiligten zu 1) auch auf Ermessensfehler der Einigungsstelle gestützt.
Im neuen Betrieb D./M. wurde Ende Mai/Anfang Juni 2004 von den ursprünglichen Belegschaften der Betriebe T. und J./F. ein neuer Betriebsrat gewählt. Der Beteiligte zu 3) ist der – ehemalige – im Betrieb T. gewählte Betriebsrat. Der Beteiligte zu 5) ist der im Betrieb R. gebildete Betriebsrat.
Die Beteiligte zu 1) hat zur Begründung ihres beim Arbeitsgericht am 27.10.2003 eingereichten Feststellungsbegehrens die Auffassung vertreten, dass bei einer Betriebsänderung, die – wie im Streitfall – mehrere Betriebe betreffe, die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nicht nur für den Abschluss des Interessenausgleichs, sondern auch für den Abschluss des Sozialplans gegeben sei. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber im Falle der originären Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die Betriebsänderung den Interessenausgleich dem Gesamtbetriebsrat, den Sozialplan dagegen den Einzelbetriebsräten habe zuweis...