Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitwert für Beendigungsvergleich nach Anträgen zur Unwirksamkeit einer Versetzung und zur weiteren Beschäftigung. Vergleichsmehrwert bei Ungewissheit über Fortbestand des Arbeitsverhältnisses
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Bewertung eines Antrags auf Feststellung der fehlenden Berechtigung der Arbeitgeberin, der Arbeitnehmerin eine anderweitige Tätigkeit zuzuweisen, oder auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Versetzung erfolgt nach § 48 Abs. 1 GKG und § 3 ZPO; bei der in diesem Rahmen nach freiem Ermessen vorzunehmenden Schätzung des Werts ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn sich das Gericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung von der Bewertungsgröße des Monatsgehalts der klagenden Partei leiten lässt und zu einer Bewertung mit einem Vielfachen oder einem Bruchteil eines Monatsbezugs gelangt.
2. Erweist sich die Unwirksamkeit der Versetzung als bloße Vorfrage eines Beschäftigungsanspruchs, sind die Werte der Anträge auf Feststellung und auf Leistung nicht zu addieren sondern wegen wirtschaftlicher Teilidentität ist nur vom höheren Einzelwert auszugehen; in Anlehnung an § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG kommt eine Werteaddition wegen wirtschaftlicher (Teil-) Identität nicht in Betracht, wenn der eine Antrag sich nur als rechtliche oder natürliche Folge aus dem anderen darstellt oder auf dasselbe Interesse gerichtet ist.
3. Ein Vergleichsmehrwert setzt im Sinne des § 779 BGB die Beseitigung eines Streits oder einer Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch die Vereinbarung voraus; ein Rückgriff auf die Regelung Nr. 1000 RVG-VV wird der gesetzlichen Systematik nicht gerecht, da diese Bestimmung nicht die Frage regelt, wann ein Vergleichsmehrwert anzunehmen ist sondern wann eine Einigungsgebühr entsteht und daher keine Anhaltspunkte dafür liefert, aus welchem Wert sie zu berechnen ist.
4. Streit meint das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Standpunkte bezüglich des Rechtsverhältnisses im Rahmen ernsthafter gegenseitiger Standpunkte; der Streit kann tatsächlicher oder rechtlicher Natur sein, wobei es auf die objektive Sach- oder Rechtslage nicht ankommt sondern subjektive Zweifel über den Bestand des Ausgangsrechtsverhältnisses genügen.
5. Ungewissheit kann vorhanden sein, ohne dass ein Streit besteht, und die gegenwärtige Rechtslage, das Vorliegen bestimmter tatsächlicher Umstände, die künftige Rechtsentwicklung oder den künftigen Eintritt von Tatsachen, insbesondere als Bedingung für den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen, betreffen, wobei es genügt, wenn sich die Ungewissheit auf Einzelpunkte des im Übrigen unstreitigen Rechtsverhältnisses bezieht (etwa auf Fälligkeit, Verzinsung, Erfüllungsort oder eine Einrede); insoweit müssen Zweifel beider Parteien über das Ausgangsrechtsverhältnis oder Zweifel einer Partei, die der anderen bekannt sind, vorliegen.
6. Legen Umstände die Schlussfolgerung nahe, dass aus der Sicht beider Parteien der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses akut gefährdet ist, weil etwa die Arbeitgeberin eine Fortsetzung zu den bisherigen und die Arbeitnehmerin eine solche zu den geänderten Bedingungen ablehnt und beide zwangsläufig auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusteuern, rechtfertigen diese Umstände die Annahme einer bestehenden Unsicherheit im Sinne des § 779 BGB zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses und deren Beseitigung durch den Vergleich.
7. Der Höhe nach erscheint es unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles sachgerecht, den Rahmen des § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG auszuschöpfen und den Vergleichsmehrwerts in Höhe einer Quartalsvergütung festzusetzen.
Normenkette
GKG § 42 Abs. 3 S. 1, § 45 Abs. 1 S. 3, § 48 Abs. 1, § 63 Abs. 2; ZPO § 3; BGB § 779
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 09.07.2012; Aktenzeichen 11 Ca 64/12) |
Tenor
1.
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Freiburg vom 09.07.2012 - 11 Ca 64/12 - insoweit abgeändert als neben dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert i.H.v. 4.650,00 EUR ein Vergleichsmehrwert i.H.v. 4.650,00 EUR festgesetzt wird.
2.
Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beschwerde betrifft die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts gemäß § 63 Satz 2 GKG in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Versetzung, in dem das Arbeitsverhältnis vergleichsweise aufgelöst worden ist.
Die Klägerin war für die in F. ansässige Beklagte als kaufmännische Angestellte mit einer Arbeitszeit von zuletzt 30 Stunden pro Woche gegen einen monatlichen Bruttoverdienst von 1.550,00 EUR beschäftigt, bevor die Beklagte sie mit Schreiben vom 19.01.2012 zum 01.03.2012 versetzte (Bl. 14 der Akte) und zugleich wegen behaupteter Unfreundlichkeit gegenüber einer Kundin abmahnte (Bl. 15 der Akte).
Hiergegen erhob die Klägerin Klage mit folgenden Anträgen (Bl. 6 der Akte):
"1. Es wird festgestellt, dass die Versetzung der Klägerin in die Niederlassung V. unwirksam ist.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht bere...