Entscheidungsstichwort (Thema)
Addition mehrerer Gegenstandswerte in derselben Streitsache gem. § 22 Abs. 1 RVG. Streitwertbemessung nach § 48 Abs. 3 GKG. Regelungsbereiche des GKG und des RVG. Keine planwidrige Regelungslücke im RVG
Leitsatz (amtlich)
1. § 48 III GKG ist im Geltungsbereich des RVG nicht anwendbar.
2. Eine analoge Anwendung des § 48 III GKG ist ausgeschlossen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 22 Abs. 1 RVG werden in derselben Angelegenheit die Werte mehrerer Gegenstände grundsätzlich zusammengerechnet.
2. Nach § 48 Abs. 3 GKG ist für die Streitwertbemessung nur der höhere Anspruch maßgebend, wenn mit einem nichtvermögensrechtlichen Anspruch ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden ist.
3. Das Gerichtskostengesetz und das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz regeln unterschiedliche Gegenstände und es wäre daher grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, eine § 48 Abs. 3 GKG entsprechende Vorschrift auch in das RVG aufzunehmen.
4. Eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 3 GKG scheidet aus, weil keine planwidrige Regelungslücke im RVG besteht. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber übersehen hat, dass im RVG eine solche Vorschrift fehlt.
Normenkette
GKG § 48 Abs. 3; RVG § 22 Abs. 1, §§ 23, 33
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 27.10.2022; Aktenzeichen 6 BV 11/21) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des antragstellenden Betriebsrats (Beteiligter zu Ziffer 8) wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 27.10.2022 - 6 BV 11/21 - dahingehend abgeändert, dass der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts H. von 6.924,23 EUR auf 12.924,23 EUR angehoben wird. Der Vergleichsmehrwert verbleibt unverändert bei EUR 16.576,32.
Gründe
I.
Gegenstand des Beschlussverfahrens war die Feststellung, dass die Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern an einem Betriebsratsseminar erforderlich ist sowie die Freistellung von den erstandenen Schulungskosten. Wegen des Sach- und Streitstandes bis zur Vorlage an das Beschwerdegericht wird ergänzend auf die Sachverhaltswiedergabe im angegriffenen Beschluss in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist statthaft (§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Im Gegensatz zur Entscheidung des Arbeitsgerichts hat eine Addition der nichtvermögensrechtlichen und des vermögensrechtlichen Anspruchs zu erfolgen, weil § 48 Abs. 3 GKG im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.
2. Das Arbeitsgericht hat die einzelnen Anträge zunächst zutreffend einzeln bewertet:
Antrag 1: 3.000,00 EUR (für die dreitägige Schulung 3/5 des Regelwerts,
vgl. LAG Baden-Württemberg 11.01.2022 - 5 Ta 96/21 - Rn. 10)
Antrag 2: 750,00 EUR (25 % des Werts von Antrag 1,
vgl. LAG Schleswig-Holstein 03.07.2019 - 5 Ta 39/19 - Rn. 15 ff.)
Antrag 3: 750,00 EUR (25 % des Werts von Antrag 1,
vgl. LAG Schleswig-Holstein 03.07.2019 - 5 Ta 39/19 - Rn. 15 ff.)
Antrag 4: 750,00 EUR (25 % des Werts von Antrag 1,
vgl. LAG Schleswig-Holstein 03.07.2019 - 5 Ta 39/19 - Rn. 15 ff.)
Antrag 5: 750,00 EUR (25 % des Werts von Antrag 1,
vgl. LAG Schleswig-Holstein 03.07.2019 - 5 Ta 39/19 - Rn. 15 ff.)
Antrag 6: 6.924,53 EUR (wie beziffert)
Außerdem hat es zutreffend den Vergleichsmehrwert auf EUR 16.576,32 festgesetzt. Da die zutreffende Bewertung der einzelnen Anträge sowie des Vergleichsmehrwerts zudem unstreitig ist, sind hierzu keine weiteren Ausführungen veranlasst.
3. Die einzelnen Anträge Ziffer 1 bis 6 sind gemäß § 22 Abs. 1 RVG zu addieren, so dass sich ein Gesamtstreitwert in Höhe von EUR 12.924,53 ergibt. § 48 Abs. 3 GKG ist nicht anwendbar.
a) Nach § 22 Abs. 1 RVG werden in derselben Angelegenheit die Werte mehrerer Gegenstände grundsätzlich zusammengerechnet. Gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1 RVG ist der Wert in Beschwerdeverfahren, in denen Gerichtsgebühren unabhängig vom Ausgang des Verfahrens nicht erhoben werden (wie im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren), nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu bestimmen, soweit sich "aus diesem Gesetz" nichts anderes ergibt. Eine unmittelbare Anwendung des § 48 Abs. 3 GKG, also einer Vorschrift eines anderen Gesetzes, ist mithin ausgeschlossen. Das RVG enthält auch keine § 48 Abs. 3 GKG entsprechende Bestimmung. Nach § 48 Abs. 3 GKG ist für die Streitwertbemessung nur der höhere Anspruch maßgebend, wenn mit einem nichtvermögensrechtlichen Anspruch ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden ist. Eine entsprechende Vorschrift im RVG, z.B. ein Absatz 4 in § 23 RVG, fehlt jedoch. Deswegen ist der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein (03.07.2019 - 5 Ta 39/19, juris), die ohne weitere Begründung § 48 Abs. 3 GKG anwendet, nicht zu folgen.
b) Eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 3 GKG scheidet nach Auffassung der Streitwertkammer ebenfalls aus, weil keine planwidrige Reg...