Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung von Betriebsratsmitgliedern unter Berücksichtigung der Anzahl regelmäßig beschäftigter Leiharbeitnehmer
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch bei einer jeweils individuell betrachtet nur vorübergehenden Überlassung eines Leiharbeitnehmers an den Entleiher kann gleichwohl die Stärke der Belegschaft dadurch gekennzeichnet sein, dass dort ständig Leiharbeitnehmer beschäftigt sind, selbst dann, wenn unter den Leiharbeitnehmern eine erhebliche Fluktuation herrscht; der Begriff "in der Regel", der in § 38 Abs. 1 BetrVG verwendet wird, dient der Ermittlung einer für den Betrieb typischen Beschäftigtenzahl und sagt nichts darüber aus, ob diese Beschäftigten in diesem Betrieb bei individueller Betrachtung über eine längere Zeit tätig sein müssen.
2. § 38 Abs. 1 BetrVG enthält wie § 9 Satz 1 BetrVG eine an die Zahl der Beschäftigten geknüpfte Pauschalierung; ebenso wie es für die Größe des Betriebsrates nicht darauf ankommt, wie viel Arbeit die Beschäftigten dem Betriebsrat tatsächlich machen, kommt es genauso wenig im Rahmen der Freistellung nach § 38 Abs. 1 BetrVG darauf an, wie viel Arbeit im Einzelfall dem Betriebsrat durch die vorhandene Anzahl an Beschäftigten entsteht, da es sich gerade um eine unwiderlegliche Vermutung und damit auch um eine Pauschalierung der freizustellenden Betriebsratsmitglieder handelt.
3. Da § 38 Abs. 1 BetrVG dem Betriebsrat zur Bewältigung des durch die Zahl der Beschäftigten entstehenden Arbeitsaufwandes pauschale Freistellungen zubilligt, entspricht es Sinn und Zweck dieser Vorschrift, bei der Ermittlung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer auch die Zahl der regelmäßig beschäftigten Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen.
Normenkette
BetrVG § 9 S. 1, § 38 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 10.09.2014; Aktenzeichen 14 BV 11/14) |
Tenor
- Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Freiburg vom 10.09.2014, Az. 14 BV 11/14 wird zurückgewiesen.
- Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
A. Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darüber, ob ein weiteres Betriebsratsmitglied nach § 38 BetrVG von seiner beruflichen Tätigkeit freizustellen ist. Maßgeblich für die Entscheidung ist, ob bei der Berechnung der Belegschaftsstärke die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer einzubeziehen sind.
Nach den nicht beanstandeten Feststellungen des Arbeitsgerichts sind bei der beteiligten Arbeitgeberin in deren vier Betriebsstätten 465 Arbeitnehmer beschäftigt. Hinzu kommen insgesamt 87 Leiharbeitnehmer auf Regelarbeitsplätzen.
Der antragstellende Betriebsrat wurde im Frühjahr 2013 gewählt. Der Betriebsratsvorsitzende sowie seine Stellvertreterin, Frau M. wurden nach erfolgter Wahl durch das Betriebsratsgremium nach § 38 BetrVG zur Freistellung bestimmt. Das Wahlverfahren und die personelle Auswahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder wurden von der beteiligten Arbeitgeberin nicht beanstandet. Sie ist jedoch nicht bereit, dauerhaft ein zweites Betriebsratsmitglied pauschal freizustellen, weil sie der Auffassung ist, dass die hierfür erforderliche Grenze von in der Regel mindestens 501 Beschäftigten nicht erreicht ist.
Mit seinem Antrag verfolgt der Betriebsrat die Freistellung der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden von ihrer beruflichen Tätigkeit durch die Arbeitgeberin. Er vertritt die Auffassung, dass sämtliche unbefristet beschäftigten Leiharbeitnehmer und solche, die voraussichtlich für mehr als drei Monate im Betrieb beschäftigt werden sollen oder deren Arbeitsplatz dauerhaft besteht, als Arbeitnehmer der Arbeitgeberin zu berücksichtigen seien bei der Berechnung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer im Rahmen des § 38 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Die Arbeitgeberin ist dem entgegengetreten, hat sich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.10.2003 berufen und darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern zur Ermittlung der Größe des Betriebsrates nicht auf die Frage der Freistellung übertragbar sei.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Sachverhaltsdarstellung im angegriffenen Beschluss Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 10.9.2014 der beteiligten Arbeitgeberin aufgegeben, Frau M. als weiteres Betriebsratsmitglied nach § 38 Abs. 1 BetrVG freizustellen. Zur Begründung hat es ausgeführt, im Betrieb der beteiligten Arbeitgeberin würden in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer im Sinne des § 38 Abs. 1 BetrVG beschäftigt. Dabei seien die regelmäßig beschäftigten Leiharbeitnehmer im Rahmen dieser Schwellenwerte zu berücksichtigen. Der systematische Kontext der Norm lege eine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern nahe. Vor allem aber Sinn und Zweck des Schwellenwertes in § 38 Abs. 1 BetrVG spreche für eine Berücksichtigung der regelmäßig beschäftigten Leiharbeitnehmer. § 38 Abs. 1 BetrVG regle in pauschalierender Form die Mindestzahl von Freistellungen, um eine möglichst wirksam...