Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstandswert für Beschlussverfahren um den Antrag des Betriebsrats auf Rückgängigmachung der Einstellung einer Arbeitnehmerin. Grundsätze der Wertermittlung für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten bei unangekündigter Aufkündigung einer mitbestimmungswidrigen betrieblichen Übung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Antrag auf Rückgängigmachung der Einstellung einer Arbeitnehmerin ist nichtvermögensrechtlicher Natur, da sich der Streit um die Teilhabe des Betriebsrats an personellen Einzelmaßnahmen der Arbeitgeberin nicht aus einem vermögensrechtlichen Rechtsverhältnis ergibt und auch nicht auf Geld oder Geldeswert gerichtet ist; der Betriebsrat nimmt vielmehr in erster Linie die seinem Beteiligungsrecht innewohnenden ideellen Interessen wahr.
2. Der Maßstab für die Bewertung des Antrags auf Rückgängigmachung der Einstellung einer Arbeitnehmerin ist deshalb § 23 Abs. 2 und 3 RVG zu entnehmen; danach ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen, in Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung und bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert mit 5.000 EUR, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000 EUR anzunehmen.
3. Die Bedeutung des Wertes von 5.000 erschöpft sich nicht darin, als "Hilfswert" ausschließlich und erst dann herangezogen zu werden, wenn eine "individuelle Bewertung nicht möglich" ist; nach Wortlaut und Systematik wie auch nach Sinn und Zweck des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG handelt es sich um einen gesetzlich für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten bestimmten "Ausgangs"- oder "Anknüpfungswert", von dem als "Normalfall" ausgehend zu prüfen ist, ob die im Einzelfall gegebenen wertbestimmenden Faktoren zu einer Erhöhung oder Verminderung dieses Wertes führen, wobei insbesondere der maßgeblich durch die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Sache bestimmte Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sowie die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber zu berücksichtigen und sonstige im Einzelfall wertbildende Umstände ins Auge zu fassen sind.
4. Besteht zwischen den Betriebspartnern eine abgesprochene und vom Betriebsrat jahrelang geduldete Übung, dass bei Einstellungen von Angestellten ein Verfahren gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gar nicht durchgeführt wird, entbindet diese rechtwidrige Gewohnheit den Betriebsrat nicht davon, vor Einleitung eines Verfahrens gemäß § 101 BetrVG die Absicht der Beendigung des mitbestimmungswidrigen Verhaltens kundzutun, um auch der Arbeitgeberin zu ermöglichen, sich fortan rechtmäßig zu verhalten; erst im Falle einer Weigerung kann von einem Streit im Rechtssinne betreffend das Mitbestimmungsrecht des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ausgegangen werden.
5. Dass eine unstreitig ohne Zustimmung des Betriebsrats und ohne das Vorliegen der Voraussetzungen des § 100 BetrVG erfolgte Einstellung auf Antrag des Betriebsrats gemäß § 101 BetrVG aufzuheben ist, gehört zum arbeitsrechtlichen Basiswissen; auch der Umfang einer 2 1/2-seitigen Antragsschrift deutet darauf hin, dass der tatsächliche Aufwand an der untersten Grenze liegt.
6. Ein rasches Einlenken der Arbeitgeberin nach Einleitung des Ausgangsverfahrens hat für die Wertermittlung nicht außer Betracht zu bleiben; insoweit kommt es nicht nur auf den Zeitpunkt der Einleitung des Beschlussverfahrens an, da es für die Bewertung des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit maßgebend auf den Zeitpunkt der Entstehung der Gebühr ankommt, die durch die Tätigkeit für den Gegenstand veranlasst ist, also der Zeitpunkt, in dem der Gebührentatbestand erfüllt wird.
7. Der Umstand, dass der Betriebsrat fünf Fälle, die seinem taggleich gefassten Beschluss zugrunde liegen, in fünf separaten Beschlussverfahren verfolgt hat, ist nicht geeignet, den Gegenstandswert jedes einzelnen Verfahrens auf eine anteilige fiktive Gesamtbewertung zu mindern; eine verfahrensübergreifende Wertermittlung unter Einbeziehung verfahrensfremder Gegenstände, seien diese auch noch so ähnlich, findet nicht statt und sind mit etwaigen sonstigen Einwendungen gegen den Vergütungsanspruch der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats als solchen sind nicht im Wertfestsetzungsverfahren sondern in einem Verfahren gemäß § 40 BetrVG geltend zu machen.
8. Geht es im Einzelfall nicht um einen Streit über das dem Betriebsrat zustehende Mitbestimmungsrecht gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sondern um die unangekündigte Aufkündigung einer mitbestimmungswidrigen Betriebsübung, ist aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls davon auszugehen, dass der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit mit 1.000 EUR angemessen bewertet ist.
Normenkette
RVG § 23 Abs. 2, 3 S. 2; BetrVG §§ 40, 99 Abs. 1 S. 1, §§ 100-101
Tenor
Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats gegen den Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - vom 03.09.2015 - 12 BV 23/15 - wird zurückgewiesen.
Gründe
A.
Die Beschwerde betrifft die Festsetzung des Werts d...