Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit der Zustellung eines Schriftstücks auch bei fehlendem Datumsvermerk. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumnis der Frist wegen fehlendem Vermerk des Datums der Zustellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der fehlende Vermerk über das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks (§ 180 Satz 3 ZPO) führt nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung.

2. Versäumt der Zustellungsempfänger wegen eines fehlenden Vermerks nach § 180 Satz 3 ZPO eine Frist, kann ihm bei fehlendem Verschulden an der Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden.

 

Normenkette

ArbGG § 59 S. 1; ZPO § 130a Abs. 2, 6, § 180 S. 3, §§ 182, 270 S. 2, §§ 418, 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 14.08.2020; Aktenzeichen 24 Ca 4003/20)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 14. August 2020 - 24 Ca 4003/20 - wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
  3. Für den Beklagten wird die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Fortbestand des zwischen ihnen begründeten Arbeitsverhältnisses über den 23. April 2020 hinaus, um Vergütungsansprüche für den Monat April 2020 und die Erteilung einer Entgeltabrechnung für den Monat März 2020. Zweitinstanzlich hat der Beklagte überdies hilfsweise Schadensersatzansprüche gegen den Kläger geltend gemacht.

Der am XX. XXXXXX 19XX geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger war seit 6. März 2018 beim Beklagten, der ausschließlich im Auftrag der D. P. AG Pakete ausliefert und mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 KSchG beschäftigt, als Paketzusteller und Kurierfahrer auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 6. März 2018 (Bl. 5 bis 8 der ArbG-Akte) zu einem Bruttomonatsverdienst von 1.962,00 € tätig. Die Büroräume des Beklagten befinden sich in O., H.-P.-P. 5. Der Beklagte wohnt in der G. 36 in S..

Als der Kläger am 23. April 2020 um 07.00 Uhr zur Arbeitsaufnahme erschien, schickte ihn der Beklagte mit dem Hinweis nach Hause, eine Kündigung würde folgen. Der Beklagte übermittelte dem Kläger sodann zumindest als Whats-App-Nachricht die Erklärung einer fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses datiert auf den 23. April 2020 mit dem aus Bl. 9 der ArbG-Akte im Einzelnen ersichtlichen Inhalt. Mit Schreiben vom 24. April 2020 (Bl. 54 der LAG-Akte) erteilte die D. P. AG dem Kläger für alle nicht dem Publikumsverkehr gewidmeten Betriebs- und Verwaltungsstellen der D. P. AG und ihrer Tochterfirmen ein absolutes und unbefristetes Hausverbot.

Der Kläger erhob am 15. Juni 2020 die vorliegende Klage, die dem Beklagten zusammen mit der Ladung zum auf den 8. Juli 2020 anberaumten Gütetermin am 25. Juni 2020 zugestellt wurde.

Wegen eines Distorsionstraumas war der Beklagte ab 29. Juni 2020 nur eingeschränkt gehfähig, was ihn daran hinderte, jeden Tag den an seinen Büroräumen befindlichen Briefkasten zu leeren. Aus diesem Grund beauftragte er seinen Innendienstmitarbeiter M., die dort eingegangene Post regelmäßig abzuholen.

Im Gütetermin vom 8. Juli 2020, in dem für den Beklagten niemand erschien, verkündete die Kammervorsitzende auf Antrag des Klägers ein Versäumnisurteil folgenden Inhalts:

  1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis über den 23.04.2020 hinaus ungekündigt fortbesteht.
  2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Vergütung für den Monat April 2020 in Höhe von 1.962,00 € brutto nebst Jahreszinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.05.2020 zu bezahlen.
  3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Verdienstabrechnung für den Monat März 2020 herauszugeben.
  4. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
  5. Der Streitwert wird auf 7.943,00 € festgesetzt.

Laut dem "Ab"-Vermerk der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts (Bl. 21 der ArbG-Akte) wurde das Versäumnisurteil dem Beklagten am 13. Juli 2020 an die Adresse "H.-P.-P. 5, XXXXX O." übersandt.

In der am 20. Juli 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Zustellungsurkunde bezüglich des Versäumnisurteils vom 8. Juli 2020 (Kopie Bl. 22 f. der ArbG-Akte), die vom Zusteller mit dem Datum 14. Juli 2020 und seiner Unterschrift versehen wurde, ist vermerkt, dass der Zusteller das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt habe, weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, sowie dass der Tag der Zustellung - gegebenenfalls mit Uhrzeit - vom Zusteller auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt worden sei. Der Vermerk "zugestellt am" auf dem Umschlag, in dem das Versäumnisurteil in den Briefkasten des Beklagten an seinen Büroräumen eingelegt wurde, enthält keine Eintragungen (vgl. Bl. 44 der ArbG-Akte).

Am 21. Juli 2020 leerte Herr M. den an den Büroräumlichkeiten des Beklagten in O. angebrachten Briefkasten, entnahm zusammen mit weiterer Post den...

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