Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der Tarifverträge der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit. Unbegründete Differenzlohnklage einer Leiharbeitnehmerin bei wirksamer arbeitsvertraglicher Bezugnahme
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tarifverträge der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit bilden eine eigene, vom Einheitstarifvertrag oder mehrgliedrigen Tarifvertrag zu unterscheidende Kategorie, die mit der Bezeichnung "mehrgliedrig-einheitlich" charakterisiert werden kann.
2. Auch wenn die Tarifverträge der Tarifgemeinschaft in einer Urkunde verbrieft und ihrem Wortlaut nach identisch sind, handelt es sich um jeweils selbständige Tarifverträge.
3. Eine Bezugnahmeklausel auf die Tarifverträge der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit ist i. d. R. dahin auszulegen, dass als Objekt der Bezugnahme auf arbeitsvertraglicher Ebene die selbständigen Einzeltarifverträge anzusehen sind.
4. Die Bezugnahmeklausel ist ferner im Sinne einer (ggf. dynamischen) Verweisung auf das in der Urkunde niedergelegte einheitliche Tarifwerk der Tarifgemeinschaft auszulegen. Die Branchenzugehörigkeit des jeweiligen konkreten Entleihers ist nach dem Parteiwillen unerheblich.
5. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die inhaltsidentischen Tarifverträge der Tarifgemeinschaft Zeitarbeit DGB-BZA verstößt deshalb nicht gegen das Transparenz- oder Bestimmtheitsgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
Normenkette
AÜG § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4; BGB § 138 Abs. 1-2, § 307 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 Sätze 1-2, § 611 Abs. 1; ArbGG § 97 Abs. 5 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 31.07.2012; Aktenzeichen 5 Ca 469/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg, Kammern Offenburg vom 31.07.2012 - 5 Ca 469/10 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Differenzvergütung nach §10 Abs. 4 AÜG in der Zeit vom 01.12.2006 bis 31.12.2007.
Die 46-jährige Berufungsbeklagte (fortan: Klägerin) war bei der Berufungsklägerin (fortan: Beklagte) aufgrund Arbeitsvertrages vom 10.12.2003 als Produktionshelferin (Leiharbeitnehmerin) in der Zeit von 15.07.2002 bis 28.02.2011, zuletzt gegen ein Stundenentgelt von Euro 7,20 beschäftigt. Während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses wurde die Klägerin bei einem Kunden der Beklagten, der Firma V. A. M. GmbH (ein Betrieb der Süßwarenindustrie), an einer Wickel- und Verpackungsmaschine eingesetzt.
Die Beklagte betreibt ein Unternehmen für Personaldienstleistungen mit regelmäßig rd. 6000 Beschäftigten und stellt ihren Kunden Mitarbeiter im Rahmen des AÜG zur Verfügung. Sie ist als Mitglied des Bundesverbandes Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e.V. (BZA) an die Tarifverträge Zeitarbeit (Manteltarifvertrag, Entgeltrahmentarifvertrag und Entgelttarifverträge) BZA-DGB vom 22.07.2003, geändert durch Änderungstarifverträge vom 22.12.2004, 30.05.2006 und 09.03.2010 gebunden.
Der Arbeitsvertrag (auf dessen Wortlaut im Übrigen Bezug genommen wird) enthält die folgende Regelung:
§ 2 Tarifvertrag
2.1. Es gelten die vom Bundesverband Zeitarbeit mit der DGB - Tarifgemeinschaft Zeitarbeit abgeschlossenen Tarifverträge (Mantel-, Entgelt- und Entgeltrahmentarifvertrag) in der jeweils geltenden Fassung, im folgenden MTV BZA, ETV BZA und ERTV BZA genannt).
Die von der NGG und dem Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie abgeschlossenen Tarifverträge für die Süßwarenindustrie in Baden-Württemberg (Bundesmanteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Süßwarenindustrie vom 14.05.2007; Entgelttarifvertrag vom 13.07.2009 - Entgelt ab 01.09.2009; Entgelttarifvertrag vom 11.05.2007 - Entgelt ab 01.07.2007; Entgelttarifvertrag vom 29.07.2005 - Entgelt ab 01.07.2005) sahen in der Zeit vom 01.07.2006 bis 30.06.2007 in der Tarifgruppe B für einen Arbeitnehmer ab 18 Jahren 1520,00 Euro Brutto und vom 01.07.2007 bis 31.12.2007 in der Tarifgruppe B für einen Arbeitnehmer ab 18 Jahren 1556,00 Euro Brutto als monatliche Grundvergütung vor. Auf die Tarifverträge inklusive des Manteltarifvertrags wird Bezug genommen.
Mit ihrer am 29.12.2010 beim Arbeitsgericht eingereichten und am 17.01.2011 zugestellten Klage verlangte die Klägerin Beträge wie folgt:
Monat |
nach Darstellung der Kläg. beim Entleiher für Monat zu zahlen: |
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Insgesamt von Kläg. angesetzte Sollzahlung |
abzüglich von Bekl. erbrachte Zahlungen |
von Kläg. geforderter Differenzbetrag für diesen Monat: |
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Grundgehalt |
vermw. Leistungen |
Weihnachtsgeld |
Urlaubsgeld |
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12/06 |
1.520,00 |
29,25 |
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|
1.549,25 |
1.099,91 |
449,34 |
01/07 |
1.520,00 |
29,25 |
|
|
1.549,25 |
1.158,09 |
391,16 |
02/07 |
1.520,00 |
29,25 |
|
|
1.549,25 |
1.136,21 |
413,04 |
03/07 |
1.520,00 |
29,25 |
|
|
1.549,25 |
1.155,45 |
393,80 |
04/07 |
1.520,00 |
29,25 |
|
|
1.549,25 |
1.147,06 |
402,19 |
05/07 |
1.520,00 |
29,25 |
|
|
1.549,25 |
1.148,08 |
401,17 |
06/07 |
1.520,00 |
29,25 |
|
|
1.549,25 |
1.451,04 |
98,21 |
07/07 |
1.556,00 |
29,25 |
|
|
1.585,25 |
1.156,60 |
428,65 |
08/07 |
1.556,00 |
29,25 |
|
|
1.585,25 |
1.141,59 |
443,66 |
09/07 |
1.556,00 |
29,25 |
|
|
1.585,25 |
1.146,23 |
439,02 |
10/07 |
1.556,00 |
29,25 |
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