Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzanspruch eines Arbeitnehmers wegen unberechtigter Filmaufnahme im Betrieb des Arbeitgebers ohne Kenntnis und Einwilligung
Leitsatz (amtlich)
Allein der Kontrollverlust über Daten stellt nicht automatisch einen immateriellen Schaden im Sinne von § 82 DS-GVO dar. Vielmehr muss die Befürchtung, dass die Daten, über die der Anspruchsteller die Kontrolle verloren hat, missbräuchlich verwendet wurden, objektiv begründet sein. Dafür ist der Anspruchsteller darlegungs- und beweisbelastet.
Normenkette
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; BGB § 241 Abs. 1-2, § 249 ff., § 278 Abs. 1, § 823 Abs. 1, § 831; DS-GVO Art. 4 Nr. 1, Art. 6, 82; DSGVO § 82 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 13.06.2023; Aktenzeichen 27 Ca 160/22) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 13.06.2023 - 27 Ca 160/22 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten, seiner ehemaligen Arbeitgeberin, Schadensersatz in Höhe von 5.000,00 €, weil er im Betrieb ohne seine Kenntnis und Einwilligung gefilmt worden ist.
Die Beklagte, ein Industrieunternehmen, beschäftigt an mehreren Standorten in Deutschland insgesamt ca. 800 Mitarbeiter. Der Kläger war bei ihr vom 01.04.2021 bis zum 31.12.2021 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Klägers vom 25.11.2021 zum 31.12.2021 (Anl. K 2, Bl. 5 ArbG-Akte).
Der Kläger war damit einverstanden, dass die Beklagte Aufnahmen seiner Person im Rahmen einer Auszubildendenkampagne veröffentlichte und gab hierzu auf einem schriftlichen Formular der Beklagten unter dem 09.03.2021 eine "Einwilligungserklärung" ab (Anlage B 5, Bl. 49 ArbG-Akte).
Die Arbeitsplätze des Klägers, des Herrn E. und des Herrn A. befanden sich in der ersten Phase des Arbeitsverhältnisses des Klägers, insbesondere auch am 12.05.2021, in einem gemeinsamen Büroraum. In diesem Büroraum filmte am Morgen des 12.05.2021 über einen Zeitraum von 74:46 Minuten hinweg eine Go-Pro-Kamera das Innere des Büroraums. Die drei Arbeitsplätze (anfänglich ohne daran sitzende Arbeitnehmer) lagen im Blickfeld der Kamera. Im Vordergrund lag der eigene Arbeitsplatz des Herrn E., am hinteren Ende des Raums die Arbeitsplätze des Herrn A. (von der Kamera aus gesehen rechts) sowie des Klägers (von der Kamera aus gesehen links). Die Beklagte hatte in ihrem Betrieb mehrere solche Kameras im Einsatz. Herr E. hatte diese Kameras in seiner Obhut, um sie anderen Mitarbeitern auszuhändigen, die damit im Einzelfall mangelhafte oder fehlergeneigte Maschinen filmten, um auftretende Probleme oder Störungen erkennen und dokumentieren zu können. Teil der diesbezüglichen Aufgabe des Herrn E. war auch das Aufladen der Akkus sowie ein Funktionstest vor der Übergabe. Eine dieser Kameras war diejenige Kamera, die am 12.05.2021 den hier betroffenen Film aufnahm. Herr E. hatte die Kamera an diesem Tag wie üblich gut sichtbar in dem ihm und den zwei Kollegen zugewiesenen Büro an der Ladestation auf dem Fenstersims angeschlossen. Er hatte die Filmen-Funktion angeschaltet und das Büro sodann verlassen. Seine beiden Kollegen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Büro eingetroffen. Ob Herr E. die Kamera bewusst mit Ausrichtung (auch) auf die Arbeitsplätze seiner zwei Kollegen laufen ließ oder ob ihm dies nicht bewusst war, ist streitig. Auf den Aufnahmen ist der normale Bürobetrieb zu sehen und zu hören, wobei man die Gesprächsinhalte zu großen Teilen schlecht oder gar nicht versteht. Hauptsächlich ist Herr A. auf dem Film zu sehen, der einige Minuten früher im Büro eintraf als der Kläger. Herr A. ist in Bezug auf den Ton auch derjenige mit den sehr weit überwiegenden Redeanteilen (auch telefonierend). Der Kläger betritt den Raum im Film bei Minute 43:02 der gesamten Aufnahme und ist ab dann bis zum Ende des Films, also 31:44 Minuten lang, im Bild. Innerhalb dieser 31:44 Minuten sieht man nur in den ersten 35 Sekunden sowie kurz darauf nochmal für 28 Sekunden seinen Körper. In der restlichen Zeit sieht man im Wesentlichen nur die obere Hälfte seines Kopfes, da er an seinem Arbeitsplatz sitzt und der Rest des Körpers durch Regale bzw. Bildschirme verdeckt ist, lediglich sein Arm und seine Hand sind je einmal für wenige Sekunden zu sehen.
Herr E. hatte zwei Jahre zuvor, unter dem 13.06.2019, eine ihm von der Beklagten vorgelegte "Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit und zur Beachtung des Datenschutzes" unterschrieben (Anl. B 4, Bl. 47 bis 48 ArbG-Akte).
Die Videoaufnahme vom 12.05.2021 verblieb zunächst ungelöscht in der Kamera. Herr A., für den sie am 12.05.2021 vorgesehen gewesen war, hatte sie doch nicht abgerufen (vgl. Aktenvermerk des Geschäftsführers B. vom 30.06.2021, Anlage B 3, Bl. 46 ArbG-Akte). Einige Zeit später erhielt ein weiterer Kollege diese Kamera und sah auf dem Speichermedium die Aufzeichnung. Er informierte hierüber die Parteie...