Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Arbeitgebers bei falscher oder unvollständiger Auskunft im Rahmen eines Aufhebungsvertrages. Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens zugunsten des Arbeitnehmers nur bei Auskunftspflicht des Arbeitgebers. Darlegungs- und Beweislast beim Arbeitnehmer für aus Pflichtverletzung resultierenden Schaden. Keine Pflicht des Arbeitgebers zur Auskunft über steuerrechtliche Fragen
Leitsatz (amtlich)
1. Erteilt ein Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages, der die Zahlung einer Abfindung vorsieht, überobligatorisch eine falsche oder unvollständige Auskuft auf eine Frage des Arbeitnehmers zu steuerrechtlichen Aspekten der Abfindungszahlung, haftet er nach § 280 Abs. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB für den durch die schuldhaft erteilte fehlerhafte Auskunft enstandenen Schaden.
2. Hinsichtlich der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden trägt der den Arbeitgeber in Anspruch nehmende Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast. Der Grundsatz, dass eine richtig informierte Partei sich interessengerecht verhält (Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens), greift zugunsten des Arbeitnehmers nicht ein, wenn es vernünftigerweise nicht nur eine, sondern mehrere Möglichkeiten aufklärungsrichtigen Verhaltens gab. Soweit der Bundesgerichtshof die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens bei der Verletzung von Aufklärungspflichten bei Kapitalanlagen auch dann anwendet, wenn mehr als eine Handlungsalternative bestanden hat, ist diese Rechtsprechung auf von Arbeitgebern erteilte Auskünfte zu steuerrechtlichen Fragen nicht zu übertragen.
Normenkette
MTV Metall SW/HZ § 18.1.2; BGB § 241 Abs. 2; EStG § 34; BGB § 305c Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 14.11.2019; Aktenzeichen 3 Ca 225/19) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 14. November 2019 - 3 Ca 225/19 - wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahren zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten den Ersatz eines behaupteten Schadens wegen steuerlicher Falschberatung bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags.
Der am XX. September 19XX geborene, verheiratete Kläger trat zum 12. März 1979 in ein Arbeitsverhältnis zu einer der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten ein. Unter dem Datum 29. April 2004 unterzeichnete der Kläger zuletzt einen schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 123 bis 127 d. Akte ArbG) bei der unmittelbaren Rechtsvorgängerin der Beklagten, der eine Tätigkeit "als Maschinenbediener" vorsieht und ua. den folgenden Inhalt hat:
"...
12. Sonstige Vereinbarungen
1. ...
...
4. Für das Arbeitsverhältnis gelten, soweit in diesem Vertrag keine besonderen Regelungen getroffen wurden, die Bestimmungen der Tarifverträge für die Arbeiter und Angestellten in der Metallindustrie in Südwürttemberg/Hohenzollern sowie eventuelle Betriebsvereinbarungen in ihrer jeweils gültigen Fassung.
5. ...
..."
Der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie Südwürttemberg/Hohenzollern (künftig: MTV Metall) sieht ua. das Folgende vor:
"...
§ 18
Ausschlussfristen und Ausgleichsquittung
18.1 Ansprüche der Beschäftigten aus dem Arbeitsverhältnis sind dem Arbeitgeber gegenüber folgendermaßen geltend zu machen:
18.1.1 Ansprüche auf Zuschläge aller Art innerhalb von 2 Monaten nach Fälligkeit;
18.1.2 alle übrigen Ansprüche innerhalb von 6 Monaten nach Fälligkeit, spätestens jedoch innerhalb von 3 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
18.1.3 Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind verwirkt, es sei denn, dass der Beschäftigte durch unverschuldete Umstände nicht in der Lage war, diese Fristen einzuhalten.
18.2 Wenn ein Anspruch vom Betriebsrat oder von den betroffenen Beschäftigten dem Grunde nach geltend gemacht ist, dann ist, solange der Anspruch nicht erfüllt ist, eine nochmalige Geltendmachung auch für sich anschließende Ansprüche nicht erforderlich.
18.3 Bleibt die Geltendmachung erfolglos, so tritt die Verwirkung nicht ein, vielmehr gilt dann die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB. Die dreijährige Frist beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahres, in welchem der Anspruch entstanden ist.
..."
Die Ehefrau des Klägers verfügte - jedenfalls zuletzt - über kein eigenes Einkommen. Bei den Einkommensteuererklärungen ließen sich der Kläger und seine Ehefrau gemeinsam veranlagen.
Im September 2016 begannen die Parteien über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu verhandeln. Die Beklagte legte dem Kläger einen - bereits durch die Arbeitgeberseite unterzeichneten - Aufhebungsvertrag mit Datum 14. Oktober 2016 (Bl. 5 bis 8 d. Akte ArbG) vor, über den die Parteien, jedenfalls am 28. Oktober 2016, verhandelten, wobei der Kläger insb. geltend machte, er halte den Abfindungsbetrag für zu gering. Für die Beklagte führte der damalige Personalleiter, Herr S., die Gespräche. Neben dem Kläger war auch das Betriebsratsmitglied Herr Sc. anwesend. Der Aufhebungsvertr...