Verfahrensgang

ArbG Reutlingen (Urteil vom 04.07.1995; Aktenzeichen 1 Ca 522/94)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 04.07.1995 – 1 Ca 522/94 – abgeändert.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 1.816,50 zu zahlen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

Gründe

Auf die Darstellung des Sachverhalts im angegriffenen Urteil (ABl. 14 f) wird Bezug genommen.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Anspruchsgrundlage ist § 5 des für allgemeinverbindlichen erklärten (§ 5 TVG) Manteltarifvertrags (MTV) für das Bäckerhandwerk in Baden-Württemberg vom 12.12.1991. Nach dessen § 5 Nr. 2 hat die Arbeitsvertragspartei, die ein bestehendes Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund fristlos auflöst und der Arbeitnehmer, der den Arbeitsplatz unter Vertragsbruch verläßt, eine Vertragsstrafe von 75 % eines tariflichen Monatsverdienstes ohne Zulagen und Zuschläge zu zahlen. Dieser Anspruch steht dem Kläger zu, denn die vom Beklagten am 31.08.1994 ausgesprochene fristlose Kündigung entbehrte des wichtigen Grundes; der Beklagte blieb ab 01.09.1994 der Arbeit fern. Die Höhe der geltend gemachten Forderung hat der Kläger zutreffend berechnet.

Die vom Arbeitsgericht geäußerten Zweifel an der Rechtswirksamkeit des § 5 MTV werden nicht geteilt. Gegen individualrechtliche Vertragsstrafenvereinbarungen, die das Ziel verfolgen, die Arbeitsvertragsparteien zur Einhaltung von Kündigungsfristen anzuhalten, bestehen nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. Urteil vom 17.08.1983 – 5 AZR 251/81 n.v.; AP Nr. 9 zu § 339 BGB; NZA 1992, 215) keine rechtlichen Bedenken, und zwar unabhängig davon, ob sie den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber oder allein den Arbeitnehmer betreffen. – Einer solchen Vertragsstrafenvereinbarung stehen die Vorschriften des AGB – Gesetzes nicht entgegen (vgl. z.B. BAG AP Nr. 9 zu § 339 BGB). – Der Hinweis des Arbeitsgerichts, eine Vertragsstrafenregelung könne sich faktisch als Kündigungserschwernis auswirken, mag zutreffen. Warum es sich um eine unzulässige Kündigungserschwernis handeln soll, wurde vom Arbeitsgericht nicht ausgeführt. – Im Arbeitsvertrag vereinbarte Vertragsstrafen dienen in erster Linie der Sicherung der jeweils geschuldeten Leistungen (s. etwa BAG AP Nr. 12 zu § 339 BGB). Daß eine verwirkte Strafe den verursachten und nachweisbaren Schaden übersteigen kann, hat der Gesetzgeber in Kauf genommen.

Vertragsstrafen können nicht nur zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vereinbart werden. Sie können auch durch Betriebsvereinbarung (vgl. z.B. BAG AP Nr. 52 zu § 77 BetrVG 1972) und Tarifvertrag (s. z.B. BAG Nr. 9 zu § 339 BGB) begründet werden. Diese Vertragsstrafen unterliegen ebenfalls den §§ 339 ff. BGB. Die Betriebspartner und Tarifvertragsparteien können insbesondere § 343 BGB nicht abdingen (vgl. z.B. Staudinger/Rieble, 1995, Vorbem. Nr. 99 f. zu §§ 339 ff.), was die Tarifvertragsparteien des hier einschlägigen Tarifvertrags in § 5 MTV jedoch nicht versucht haben. Den vom Arbeitsgericht wegen der Höhe der vorgesehenen Vertragsstrafe geäußerten Bedenken kann daher im Einzelfall Rechnung getragen werden. Sollte – auch im Hinblick auf den angerichteten Schaden – die Vertragsstrafe von 75 % eines tariflichen Monatsverdienstes ohne Zulagen und Zuschläge unverhältnismäßig hoch sein, dann besteht die Möglichkeit, sie auf Antrag des Schuldners gem. § 343 BGB auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen und so unbillige Härten zu vermeiden.

Da im vorliegenden Fall vom Beklagten kein Antrag gestellt wurde, die verwirkte Vertragsstrafe herabzusetzen, war gem. § 542 ZPO auf den Antrag des Klägers gegen den ordnungsgemäß geladenen, aber nicht erschienenen Beklagten ein Versäumnisurteil entsprechend dem Klagantrag zu erlassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Der Vorsitzende Dr. Dudel Vors. Richter am LAG

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1065011

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