Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingriff in dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge durch Entkopplung einer Betriebsrentenzusage mit Überversorgungsbegrenzung von der künftigen Entwicklung der gesetzlichen Rente. Feststellungsklage zur Weitergeltung der ursprünglichen Betriebsvereinbarung bei unsubstantiierten Darlegungen der Arbeitgeberin zur Vermeidung eines überschießenden Eingriffs in das betriebliche Altersversorgungssystem
Leitsatz (amtlich)
1) Enthält die Berechnungsformel einer Betriebsrentenzusage eine Überversorgungslimitierung, wonach die aus der Betriebsrente und der gesetzlichen Rente errechnete Gesamtversorgung einen bestimmten Prozentsatz des Endgehalts vor Eintritt des Versorgungsfalls nicht überschreiten darf und wird diese Versorgungsordnung abgeändert durch Entkopplung von der künftigen Entwicklung der gesetzlichen Rente, so kann darin im Einzelfall ein Eingriff in die dienstzeitunabhängige Dynamik liegen, der nur mit einem triftigen Grund gerechtfertigt werden kann.
2) Die Beurteilung, ob sachlich-proportionale Gründe für einen Eingriff in dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge vorliegen, erfordert nicht lediglich eine Willkürkontrolle. Dem Arbeitgeber obliegt die Darlegung aller Umstände, die nachvollziehbar belegen, dass ein überschießender Eingriff in das betriebliche Altersversorgungssystem nicht erfolgt ist.
Normenkette
BetrAVG §§ 1, 2 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 06.10.2011; Aktenzeichen 17 Ca 2528/11) |
Nachgehend
Tenor
1.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 06.10.2011 (17 Ca 2528/11) wird zurückgewiesen.
2.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3.
Die Revision zum BAG wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, nach welcher Versorgungsordnung sich die Ruhegeldanwartschaften der Klägerin bemessen.
Die am 28. April 1959 geborene Klägerin ist seit 01. Januar 1993 bei der Beklagten, bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Dies war ursprünglich die N. AG (nachfolgend: N. AG). Mit Beschluss der Hauptversammlung von März 2002 gliederte diese das operative Geschäft in fünf Tochtergesellschaften aus. Die operativen Tochtergesellschaften wurden durch Verschmelzungsverträge auf die jeweiligen Parallelgesellschaften des E.-Konzerns übertragen. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging auf diese Weise im Jahr 2002 auf die N. AG & Co. KG über. Im Jahr 2003 ging das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte über. Bei der Beklagten handelt es sich um eine 100%ige Tochter der E. AG.
Bei der N. AG waren Ansprüche der Mitarbeiter auf eine betriebliche Altersversorgung geregelt in einer Betriebsvereinbarung über die Versorgungsordnung der N. AG vom 12. Dezember 1997 über vor dem 01. Januar 1997 bei der N -Aktiengesellschaft eingetretene Betriebsangehörige (nachfolgend: BV 1997). Darin heißt es ua.:
"§ 1 Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs
1. Der Versorgungsanspruch entsteht, wenn der unter den jeweils für die N. geltenden Manteltarifvertrag fallende Betriebsangehörige nach Vollendung des 20. Lebensjahres eine 10jährige ununterbrochene Dienstzeit bei den N. erreicht hat. In diesem Fall gibt das Unternehmen dem betreffenden Betriebsangehörigen spätestens nach Ablauf des Kalendervierteljahres, in dem die zehnjährige Dienstzeit erfüllt ist, eine entsprechende schriftliche Mitteilung.(...)
§ 3 Alters- und Invaliditätsversorgung
1. Der versorgungsberechtigte Betriebsangehörige erhält ein Ruhegeld, wenn er in den Ruhestand tritt.
2. Der Eintritt in den Ruhestand erfolgt:
a) auf Wunsch der N. oder des Betriebsangehörigen, wenn der Betriebsangehörige
- das 65. Lebensjahr vollendet hat (feste Altersgrenze) oder
- vor Vollendung des 65. Lebensjahres Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung in voller Höhe in Anspruch nimmt(...).
§ 4 Höhe und Berechnung des Ruhegeldes
1. a) Das Ruhegeld beträgt nach der Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 monatlich 15 % des letzten ruhegeldberechtigten Einkommens. Es steigert sich für jedes weitere Dienstjahr um 1 %, höchstens jedoch auf insgesamt 40 %.
b) Der in der gesetzlichen Rentenversicherung bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente maßgebende Zugangsfaktor wird für das N.-Ruhegeld übernommen; dies gilt nicht für Betriebsangehörige, die am 01.01.1992 bereits einen Versorgungsanspruch im Sinne des § 1 haben.
c) Die Gesamtversorgung (Sozialversicherungsrenten, Versorgungsleistungen aus früheren Tätigkeiten und N.-Ruhegeld) darf 75 % des letzten ruhegeldberechtigten Einkommen nicht übersteigen. (...)"
Mit Schreiben vom 15. April 2003 wurde der Klägerin die Unverfallbarkeit der Betriebsrentenansprüche nach der BV 1997 bescheinigt.
Beginnend im Jahr 2003 wurde im gesamten E.-Konzern ein Einsparprogramm namens "TOP FIT" durchgeführt. Im Rahmen dieses Einsparprogramms wurden ua. sämtliche Betriebsvereinbarungen über Altersversorgung im Konzern gekündigt. Es wurde sodann konzernweit zwischen den einzelnen Konzernun...