Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingriff in dienstzeitabhängige Zuwachsraten durch Abkoppelung der betrieblichen Altersversorgung von der gesetzlichen Rentenversicherung. Feststellungsklage des Arbeitnehmers bei unsubstantiierten Darlegungen der Arbeitgeberin zur Rechtfertigung des Eingriffs in die Versorgungsordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Beurteilung, ob sachlich-proportionale Gründe für einen Eingriff in dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge vorliegen, erfordert nicht lediglich eine Willkürkontrolle. Dem Arbeitgeber obliegt die Darlegung aller Umstände, die nachvollziehbar belegen, dass ein überschießender Eingriff in das betriebliche Altersversorgungssystem nicht erfolgt ist.
Normenkette
BetrAVG § 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 06.10.2011; Aktenzeichen 17 Ca 6588/11) |
Nachgehend
Tenor
1.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 06.10.2011 - 17 Ca 6588/11 - wird zurückgewiesen.
2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, nach welcher Versorgungsordnung sich die Anwartschaften des Klägers auf betriebliche Altersversorgung richten.
Der am XX.XX.19XX geborene Kläger wurde am 1. November 1984 bei der N. S. AG (im Folgenden: N. AG) eingestellt. Mit Beschluss der Hauptversammlung von März 2002 gliederte die N. AG das operative Geschäft in fünf Tochtergesellschaften aus. Diese Tochtergesellschaften wurden durch Verschmelzungsverträge auf die jeweiligen Parallelgesellschaften des E.-Konzerns übertragen. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging auf diese Weise im Jahr 2002 zunächst auf die N. K. AG & Co. KG und sodann im Folgejahr auf die Beklagte über.
Bei der Beklagten handelt es sich um eine hundertprozentige Tochter der E. E. Baden-Württemberg AG.
Bei der N. AG waren Ansprüche der Mitarbeiter auf eine betriebliche Altersversorgung geregelt in einer "Betriebsvereinbarung über die Versorgungsordnung der N. S. AG vom 12. Dezember 1997 über vor dem 1. Januar 1997 bei der N. E.-Aktiengesellschaft (N.) eingetretene Betriebsangehörige". In dieser Betriebsvereinbarung (künftig BV 1997) heißt es ua.:
"§ 1 Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs
1. Der Versorgungsanspruch entsteht, wenn der unter den jeweils für die N. geltenden Manteltarifvertrag fallende Betriebsangehörige nach Vollendung des 20. Lebensjahres eine 10jährige ununterbrochene Dienstzeit bei den N. erreicht hat. In diesem Fall gibt das Unternehmen dem betreffenden Betriebsangehörigen spätestens nach Ablauf des Kalendervierteljahres, in dem die zehnjährige Dienstzeit erfüllt ist, eine entsprechende schriftliche Mitteilung.(...)
§ 3 Alters- und Invaliditätsversorgung
1. Der versorgungsberechtigte Betriebsangehörige erhält ein Ruhegeld, wenn er in den Ruhestand tritt.
2. Der Eintritt in den Ruhestand erfolgt:
a) auf Wunsch der N. oder des Betriebsangehörigen, wenn der Betriebsangehörige
- das 65. Lebensjahr vollendet hat (feste Altersgrenze) oder
- vor Vollendung des 65. Lebensjahres Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung in voller Höhe in Anspruch nimmt (...).
§ 4 Höhe und Berechnung des Ruhegeldes
1. a) Das Ruhegeld beträgt nach der Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 monatlich 15% des letzten ruhegeldberechtigten Einkommens. Es steigert sich für jedes weitere Dienstjahr um 1%, höchstens jedoch auf insgesamt 40%.
b) Der in der gesetzlichen Rentenversicherung bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente maßgebende Zugangsfaktor wird für das N.-Ruhegeld übernommen; dies gilt nicht für Betriebsangehörige, die am 01.01.1992 bereits einen Versorgungsanspruch im Sinne des § 1 haben.
c) Die Gesamtversorgung (Sozialversicherungsrenten, Versorgungsleistungen aus früheren Tätigkeiten und N.-Ruhegeld) darf 75% des letzten ruhegeldberechtigten Einkommen nicht übersteigen. (...)"
Mit Schreiben vom 14.01.1994 wurde dem Kläger die Unverfallbarkeit der Betriebsrentenansprüche nach der BV 1997 bescheinigt.
Beginnend im Jahr 2003 wurde im gesamten E. -Konzern ein Kosteneinsparungsprogramm namens "TOP FIT" durchgeführt. In dessen Rahmen wurden ua. sämtliche Betriebsvereinbarungen über Altersversorgung im Konzern gekündigt. Es wurde sodann zwischen einzelnen Konzernunternehmen und ihren Betriebsräten bzw. Gesamtbetriebsräten am 26. November 2004 eine Betriebsvereinbarung zur Neuregelung der betrieblichen Altersversorgung (nachfolgend: BV 2004) geschlossen. Darin ist ua. geregelt:
"[A.]
9. Gesamtbetriebsvereinbarung vom 12.12.1997 über die Versorgungsordnung der N. S. AG für vor dem 01.01.1997 bei der N. E.-Aktiengesellschaft (N.) eingetretene Betriebsangehörige:
9.1 Die Wirkungen der Kündigung vom 23.09.2003/19.05.2004 (dort Buchstabe C) werden einvernehmlich zum 31.12.2004 nicht eintreten.
9.2 Statt dessen werden die Anwartschaften der nach der oben genannten Betriebsvereinbarung berechtigten Mitarbeiter für die Zukunft wie folgt von der Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung...