Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugangsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu einem kirchlichen Betrieb zum Zwecke der Mitgliederwerbung
Leitsatz (amtlich)
Ein betriebliches Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Zwecke der Mitgliederwerbung in einen kirchlichen Betrieb ist in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.02.1981 jedenfalls dann verneint worden, wenn die Gewerkschaft im kirchlichen Betrieb bereits durch Mitglieder vertreten ist.
Dieser Beschluss entfaltet im kirchlichen Bereich auch nach Aufgabe der Kernbereichslehre zu Art. 9 Abs. 3 GG im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.11.1995 weiterhin Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; BVerfGG § 31 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Heilbronn (Urteil vom 04.03.2010; Aktenzeichen 7 Ca 693/09) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn – Kammern Crailsheim – vom 04.03.2010 (Az.: 7 Ca 693/09) wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Arbeitgeberin in ihrem kirchlichen Betrieb den Zutritt betriebsfremder Beauftragter der klagenden Gewerkschaft zum Zwecke der Mitgliederwerbung dulden muss.
Die Klägerin ist eine im Betrieb der Beklagten vertretene Einzelgewerkschaft. Die Beklagte betreibt das Diakonie-Klinikum mit den Klinikstandorten S. H. und G. In diesen Standorten werden derzeit ca. 1.300 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigt. Das Krankenhaus-Hauptgebäude, D. Straße in S. H. hat die Beklagte vom Evangelischen Diakoniewerk S. H. e.V. gemietet. Mit Abschluss des Mietvertrages und der Gebrauchsüberlassung an die Beklagte ist das Hausrecht in diesem Gebäude auf die Beklagte übergegangen. Der Evangelische Diakoniewerk S. H. e.V. ist gemäß seiner Satzung vom 29.03.2007 (Bl. 53 – 62 d. zweitinstanzlichen Akte) Mitglied im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in W. e.V. Laut seiner Satzung versteht er Diakonie als gelebten Glauben der christlichen Gemeinde und Antwort auf die Verkündigung des Evangeliums. Das Evangelische Diakoniewerk ist u.a. an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften beteiligt, u.a. an der Gesundheitsholding S. H. gGmbH, zu der auch die Beklagte gehört. Das Evangelische Diakoniewerk betont in seiner Satzung seine Verbundenheit mit Kirche und Diakonie (§ 4). Gem. § 9 der Satzung besteht der Vorstand aus mindestens 3 Mitgliedern: der Vorsitzenden/dem Vorsitzenden des Vorstands, der Oberin und dem kaufmännischen Vorstand. Die Vorstandsvorsitzende/der Vorstandsvorsitzende muss Mitglied der Evangelischen Landeskirche und soll ordinierte Theologin/ordinierter Theologe sein. Ihre/seine Wahl durch die Mitgliederversammlung erfolgt nach Fühlungnahme mit dem Evangelischen Oberkirchenrat der W. Landeskirche und dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in W.. Die Oberin muss Mitglied der Evangelischen Landeskirche sein.
Im Diakonie-Klinikum arbeiten auch zahlreiche Mitglieder der Gemeinschaft der H. Schwestern und Brüder, die die Beklagte auf bis zu 10 % aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schätzt. Nach den verlautbarten Zielen der Beklagten bilden die Mitglieder der Gemeinschaft der H. Schwestern und Brüder und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Diakonie-Klinikum eine Dienstgemeinschaft. Bei der Beklagten ist eine Mitarbeitervertretung gemäß dem Mitarbeitervertretungsgesetz (EKD) gebildet. Ein Betriebsrat ist nicht vorhanden. Die Beklagte versteht sich als kirchliche Einrichtung, in der ein spezifisch kircheneigener, sogenannter Dritter Weg gegangen wird, wonach die Festlegung der Arbeitsbedingungen (z. B. AVR) durch eine paritätisch von Mitarbeiterseite und Kirchenleitung besetzte Kommission erfolgt.
Die Klägerin möchte im Haupthaus des Diakonie-Klinikums an geeigneter Stelle über eine eigene Anschlagtafel oder über einen festen Platz an einer vorhandenen Anschlagtafel verfügen und dort durch betriebsfremde Gewerkschaftsbeauftragte Informationsmaterial anbringen lassen können. Sie ist der Auffassung, dass sich die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben. Zum Recht auf koalitionsmäßige Betätigung gehörten u. a. die Selbstdarstellung und Mitgliederwerbung durch die Koalition und ihre Mitglieder. Der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG beschränke sich nicht auf diejenigen Tätigkeiten, die für die Erhaltung und Sicherung des Bestandes der Koalition unerlässlich seien. Zwar nehme die Beklagte als Einrichtung der Diakonie an dem Selbstbestimmungsrecht teil, das Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV) den Religionsgemeinschaften gewähre. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften bestehe gem. Art. 137 Abs. 3 WRV allerdings „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes”. Bei dem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG handele es sich um ein „für alle geltendes Gesetz” in diesem Sinne. Zwar gerieten das Grundrecht der Koalitionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften in Kon...