Leitsatz (amtlich)
Auch nach Aufgabe der Kernbereichsformel gewährleistet Art. 9 Abs. 3 GG für die Gewerkschaften – jedenfalls dann, wenn diese im Betrieb bereits durch betriebsangehörige Mitglieder vertreten sind – keinen Anspruch auf Duldung des Zutritts von betriebsfremden Gewerkschaftsbeauftragten zu kirchlichen Einrichtungen im Sinne des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV zum Zwecke der Mitgliederwerbung.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 10.000,00 festgesetzt.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um ein Zugangsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu kirchlichen Einrichtungen.
Die Klägerin ist eine im Betrieb der Beklagten vertretene Einzelgewerkschaft. Die Beklagte ist Mitglied des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Württemberg und Mehrheitsgesellschafter der Gesundheitsholding S. gGmbH, die wiederum Trägerin der D. Klinikum S. gGmbH ist. Der Sitz der Beklagten ist „Am M.”, der der D. Klinikum S. gGmbH in der D.-straße, jeweils in S..
Nachdem die Klägerin außergerichtlich erfolglos von der Beklagten gefordert hatte, in deren Betrieb durch einen Aushang an einem Schwarzen Brett über die Gewerkschaftsarbeit zu informieren, begehrt die Klägerin mit der am 15.01.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage neben der Bereitstellung eines eigenen Schwarzen Brettes im Haupthaus der Beklagten auch den Zugang eines externen Gewerkschaftsbeauftragten zum Zwecke der Anbringung von Informationsmaterial.
Die Klägerin ist der Auffassung,
ein solcher Zugangsanspruch ergebe sich unmittelbar aus Artikel 9 Abs. 3 GG, nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 14.11.1995 die bis dahin vertretene Kernbereichslehre aufgegeben habe. Zur Garantie koalitionsmäßiger Betätigung zähle auch die Befugnis, im Betrieb über die Gewerkschaftstätigkeit zu informieren, wobei der Arbeitgeber gegebenenfalls auch Schwarze Bretter zur Verfügung zu stellen habe. Zum Zwecke der Bewerbung des Gewerkschaftsbeitritts könnten betriebsfremde Gewerkschaftsbeauftragte auch dann im Betrieb werben, wenn dort schon Gewerkschaftsmitglieder arbeiteten. Nachdem der Schutz des Artikel 9 Abs. 3 GG sich nicht nur auf diejenigen Tätigkeiten beschränke, die für die Erhaltung und Sicherung des Bestandes der Koalition unerlässlich seien und damit alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen umfasse, gelte Artikel 9 Abs. 3 GG auch in kirchlichen Einrichtungen und Dienststellen und umfasse auch Zutrittsrechte betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter, solange und sofern diese den besonderen Charakter kirchlicher Einrichtungen und Dienststellen respektierten. Zwar sei eine Güterabwägung zwischen weltlichem bzw. staatlichem Recht und kirchlichem Recht vorzunehmen, diese unterliege jedoch nicht allein der klerikalen Bestimmung. Zudem werde durch das Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsangehöriger zu kirchlichen Einrichtungen das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gemäß Artikel 140 GG grundsätzlich nicht verletzt. Die Klägerin sei nicht kirchenfeindlich und bekenne sich nach § 5 ihrer Satzung zu den Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaats und sei den Prinzipien der Einheitsgewerkschaft verpflichtet. Sofern nur Betriebsangehörige der Beklagten werben dürften, müssten diese ihre Mitgliedschaft bei der Klägerin offenbaren, was ihnen gerade in einem kirchlichen Haus unzumutbar wäre. Diese Ausprägung der negativen Koalitionsfreiheit des einzelnen Beschäftigten würde daher letztlich bei der Abwägung überwiegen. Das Bundesarbeitsgericht habe in seinem Urteil vom 28.02.2006 auf Grundlage der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Zugangsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsmitglieder zum Zwecke der Mitgliederwerbung ausdrücklich anerkannt. Bei der Beklagten handele es sich aber als Krankenhaus um einen Wirtschaftsbetrieb, der im Wettbewerb stehe und sich zudem in einem politisch regulierten Segment bewege. Das im Grundgesetz garantierte Recht auf Glaubensfreiheit und das Recht der Religionsgemeinschaften, ihre Angelegenheiten selbständig zu verwalten und zu ordnen, bedeute nicht, dass die Kirchen außerhalb der Verfassung und Rechtsordnung stehen würden. Derselben Gewerkschaft, die sich im Jahr 2007 für den Abschluss des Staatskirchenvertrages eingesetzt habe, nunmehr das Zutrittsrecht zu verweigern und sich dabei auf die Weimarer Reichsverfassung vom 11.08.1919 zu berufen, sei nicht mehr zeitgemäß und deswegen auch rechtswidrig. Dies gelte auch deswegen, weil die Weimarer Reichsverfassung die evangelische Kirche aus dem Jahr 1918 und davor im Blick gehabt habe. Auch im Hinblick auf die Vorschrift des § 9 AGG und der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 sei der Begriff des kirchlichen Selbstverständnisses neu zu interpretieren. Der Umstand, dass die Möglichkeit, Informationsmaterial im Haus der Beklagten anzubringen ausschließlich Gewerkschaftsmitgliedern, die...