Entscheidungsstichwort (Thema)

Günstigkeitsvergleich. Günstigkeitsvergleich einer einzelvertraglichen Vereinbarung mit einer Betriebsvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Entscheidung, ob eine einzelvertragliche Vereinbarung, die von einer „Betriebsvereinbarung abweicht, günstiger ist, kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die einzelvertragliche Vereinbarung geschlossen wurde. Enthält die Betriebsvereinbarung eine Regelung, nach der sich eine Sozialplanregelung mehr als verdoppelt, sofern der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres keinen Arbeitsplatz mehr findet, so kann diese Ungewißheit über den zukünftigen Geschehensablauf nicht in den Günstigkeitsvergleich einbezogen werden. In den Günstigkeitsvergleich ist einer realen Besserstellung des Arbeitnehmers im Zeitpunkt des Abschlusses der individuellen Vereinbarung nicht die Chance gegenüberzustellen, durch den Eintritt eines Ungewissen Ereignisses in Zukunft durch den Sozialplan bessergestellt werden zu können.

2. Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG greift nicht ein, wenn in einem Kündigungsrechtsstreit ein gerichtlicher Vergleich geschlossen wird, in dem der Arbeitnehmer gegenüber dem Sozialplan zusätzliche Leistungen erhält, aber dafür auf die Chance verzichtet, evtl. zu einem späteren Zeitpunkt unter bestimmten Voraussetzungen einen höheren Betrag auf Grund der Sozialplanregelung zu erhalten.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 4 S. 2; BGB § 611

 

Verfahrensgang

ArbG Lörrach (Urteil vom 17.10.1994; Aktenzeichen 3 Ca 419/94)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach, Kammern Radolfzell, vom 17.10.1994 – AZ: 3 Ca 419/94 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Abfindung nach der im Sozialplan enthaltenen sogenannten Härtefallregelung. Die Beklagte war gezwungen, betriesbedingte Kündigungen auszusprechen und hat dafür am 26.09.1991 einen Sozialplan abgeschlossen. Auch das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde zum 30.09.1992 gekündigt. Nach dem Sozialplan stand dem Kläger eine Sozialabfindung in Höhe von DM 7.200,– zu (§ 3 Ziff. 1 des Sozialplanes – ABl. 74). Nach der ebenfalls im Sozialplan aufgenommenen Härtefallregelung hatte der Kläger Anspruch auf eine Abfindung in Höhe von insgesamt DM 23.547,– für den Fall, daß er ein Jahr nach Ausscheiden aus dem Betrieb immer noch arbeitslos sein sollte (§ 3 Ziff. 4 Sozialplan). Gegen die betriebsbedingte Kündigung hat der Kläger Klage erhoben. Im Kündigungsschutzverfahren einigten sich die Parteien auf die Zahlung einer zusätzlichen Abfindung in Höhe von DM 6.000,–, so daß der Kläger aufgrund des am 02.11.1992 protokollierten gerichtlichen Vergleichs DM 13.200,– erhielt. In Ziff. 3 dieses Vergleichs haben die Parteien folgendes vereinbart: „Damit sind alle finanziellen Ansprüche zwischen den Parteien abgegolten (inklusive Abfindung Sozialplan/Härteregelung)”. Vor Abschluß dieses Vergleichs hatte der Kläger darauf hingewiesen, daß seiner Ansicht nach der Verzicht ohne Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG unwirksam sei. Die Beklagte und das Gericht waren anderer Auffassung. Die Beklagte war insbesondere nicht bereit, sich ohne diesen Verzicht auf eine höhere Abfindung zu einigen. Gleichwohl stimmte der Kläger dem Vergleich zu, weil er davon ausging, alsbald wieder eine neue Arbeitsstelle zu finden. Eine Zustimmung des Betriebsrates liegt nicht vor. Nachdem der Kläger jedoch innerhalb eines Jahres keine neue Arbeitsstelle fand, begehrt er nunmehr den Differenzbetrag zwischen der erhaltenen Abfindung und dem Betrag, der ihm aufgrund der Härtefallregelung im Sozialplan zugestanden hätte.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Verzicht auf weitere Leistungen aus der Betriebs-vereinbarung sei wegen der fehlenden Genehmigung des Betriebsrates unwirksam.

Der Kläger hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 10.347,– netto zuzüglich 4 % Zinsen ab dem 01.10.1993 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten enthält der am 02.11.1992 abgeschlossene Vergleich eine günstigere Regelung gegenüber dem Sozialplan. Aus diesem Grunde sei der Vergleich wirksam. Im übrigen hat die Beklagte die Auffassung vertreten, das jetzige Begehren des Klägers sei widersprüchlich und damit unbeachtlich.

Auf den Inhalt des Sozialplanes vom 26.09.1991 wird verwiesen (ABl. 71 – 77).

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 17.10.1994 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Vergleichsregelung enthalte gegenüber der Sozialplanregelung eine günstigere Vereinbarung. Aus diesem Grunde sei der Vergleich wirksam, auch wenn darin ein Verzicht auf Rechte aus dem Sozialplan gesehen werden müßten. Gegen das dem Kläger am 02.02.1995 zugestellte Urteil hat dieser am 02.03.1995 Berufung eingelegt, die am 29.03.1995 begründet wurde.

Der Kläger widerholt seine erstinstanzlich vertretene Rechtsauffassung, daß die Vergleichsregelung g...

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