Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksamkeit einer Vertragsstrafenregelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen wegen unangemessener Benachteiligung. Unangemessene Benachteiligung eines in der Weiterbildung befindlichen Arztes. 42 Monate Kündigungsfrist für angehenden Facharzt unwirksam
Leitsatz (amtlich)
Eine Vertragsklausel, wonach das zum Zwecke der Weiterbildung abgeschlossene Arbeitsverhältnis eines in der Weiterbildung zum Facharzt befindlichen approbierten Arztes nach Ablauf der Probezeit erst nach 42 Monaten nach Beginn des Arbeitsverhältnisses ordentlich gekündigt werden kann, benachteiligt den in der Weiterbildung befindlichen Arzt entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Normenkette
BGB §§ 307, 306, 622 Abs. 5-6; TzBfG § 15 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Ulm (Entscheidung vom 07.02.2019; Aktenzeichen 2 Ca 27/18) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 07.02.2019 - 2 Ca 127/18 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 2.604,93 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. März 2018 zu bezahlen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revisionsbeschwerde zu tragen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Arbeitsentgelt für den Monat Februar 2018 und über einen Anspruch der Beklagten auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von drei Bruttomonatsentgelten.
Die am .... geborene, verheiratete und damals noch keinem Kind unterhaltsverpflichtete Klägerin trat am 1. Februar 2016 zunächst bei der Gemeinschaftspraxis Dres. St. ein Arbeitsverhältnis zur Weiterbildung zur Fachärztin für Dermatologie und Venerologie an. Dem Arbeitsverhältnis lag ein Arbeitsvertrag vom 7. Januar 2016 (Anlage K 1) zugrunde. Hiernach belief sich das monatliche Bruttogehalt der Klägerin auf 4.435,00 Euro.
Am 1. Januar 2017 ging das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte über (vgl. die Klarstellungsvereinbarung vom 8. April 2017, Anlage K 2). Die Beklagte betreibt ein medizinisches Versorgungszentrum im Sinne des §§ 95 SGB V. Sie erbringt die gesetzlich zulässigen Leistungen im Rahmen der vertrags- und privatärztlichen Versorgung.
In § 11 des vorformulierten Arbeitsvertrages trafen die Parteien unter der Überschrift "Vertragsdauer, Kündigung" u.a. folgende Vereinbarungen:
§ 11 Vertragsdauer, Kündigung
a) Die ersten 5 Monate des Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit. Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.
b) Nach Ablauf der Probezeit wird die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf einen Zeitpunkt vor Ablauf des (Anmerkung: Das Datum wurde handschriftlich eingefügt) 31.07.2019 (42 Monate ab Beginn des Arbeitsverhältnisses) ausgeschlossen. Danach kann das Arbeitsverhältnis unter Beachtung der gesetzlichen Kündigungsfristen ordentlich gekündigt werden. Für den Arbeitgeber aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften geltende längere Kündigungsfristen sind auch vom Arbeitnehmer einzuhalten.
c) Das Recht der Parteien zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt hiervon unberührt.
d) Löst der Arbeitnehmer das Dienstverhältnis vertragswidrig nach Ablauf der Probezeit, so hat er eine Vertragsstrafe in Höhe von drei Bruttomonatsvergütungen zu bezahlen, höchstens jedoch eine Vertragsstrafe in der Höhe, die den Bruttovergütungen entspricht, die durch die vertragswidrige Loslösung vom Vertrag bis zum Ablauf des 42-Monats-Zeitraums entfallen.
Endet das Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers, die der Arbeitnehmer zu vertreten hat, hat der Arbeitnehmer eine Vertragsstrafe in Höhe dreier Bruttomonatsvergütung zu bezahlen, höchstens jedoch eine Vertragsstrafe in der Höhe, die den Bruttovergütungen entspricht, die durch die außerordentliche Kündigung bis zum Ablauf des 42 Monatszeitraums entfallen.
...
Mit dem Antritt des Arbeitsverhältnisses begann für die Klägerin der erste Abschnitt ihrer 60-monatigen Weiterbildung zur Fachärztin für Dermatologie und Venerologie nach der damaligen Weiterbildungsordnung der Ärztekammer des Landes Baden-Württemberg (Stand: 1. Mai 2018). Die Befugnis der Beklagten zur Weiterbildung erstreckte sich auf 30 Monate ambulante Versorgung und zwölf Monate stationäre Versorgung. Nach Ablauf des 42-Monats-Zeitraums hätte die Klägerin ihre Weiterbildung bei einem anderen Träger fortführen müssen. Während ihrer Weiterbildung nahm die Klägerin im ambulanten Dienst eine Sprechstunde wahr. Die ausbildenden Ärzte standen ihr bei Bedarf unterstützend zur Verfügung. Außerdem überwachten die ausbildenden Ärzte die Weiterbildung der Klägerin in der Weise, dass deren Weiterbildungsnachweise täglich geprüft wurden, was zwischen 20 und 40 Minuten in Anspruch nahm.
Mit Schreiben vom 29. Januar 201...