Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbandsaustritt während der Einführungsphase des ERA-Tarifvertrags Baden-Württemberg. Nachbindung. Verfall des Anspruchs auf Korrektur des Arbeitszeitkontos
Leitsatz (redaktionell)
1. Es besteht so lange Tarifgebundenheit wie der betreffende Tarifvertrag noch in derjenigen Fassung existent ist, auf die der ausgetretene Arbeitgeber Einfluss nehmen konnte.
2. Der Anspruch auf Gutschrift der Differenz wischen einer 35- und 40-Stunden-Woche nach dem Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 14.06.2005 ist täglich fällig, wenn die Arbeitszeit taggenau ermittelbar ist.
Normenkette
TVG § 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 15.01.2009; Aktenzeichen 21 Ca 7630/07) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 15.01.2009 – 21 Ca 7630/07 – werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung tragen die Klägerin zu 30 % und die Beklagte zu 70 %.
3. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Kern darüber, ob für das Arbeitsverhältnis der Parteien nach einem Verbandsaustritt der Beklagten noch die tarifliche 35-Stunden-Woche gilt.
Die am 02.08.1962 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit 13.06.1994 beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt der Klägerin belief sich zuletzt auf EUR 2.186,68 brutto. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metallindustrie. Sie war bis zum 31.12.2005 Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V (im folgenden: Südwestmetall). Bis zu diesem Zeitpunkt wandte die Beklagte das Tarifwerk für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden allgemein an. Zum 31.12.2005 trat die Beklagte aus dem Verband aus.
Bereits am 16.09.2003 hatte Südwestmetall mit der Industriegewerkschaft Metall einen Entgeltrahmen-Tarifvertrag (ERA-TV) und einen Einführungstarifvertrag zum ERA-TV (ETV ERA) abgeschlossen. § 2 ETV ERA sieht eine dreijährige Einführungsphase für den ERA-TV vor. Die Einführungsphase dauerte vom 01.03.2005 bis 29.02.2008. Im Anschluss an die Einführungsphase gilt der ERA-TV verbindlich für alle Betriebe.
Etwa Mitte des Jahres 2005 unterbreitete die Beklagte sämtlichen Arbeitnehmern neue, einheitliche Arbeitsverträge. Die Arbeitsverträge sollten ab dem 01.01.2006, also für den Zeitraum nach dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband gelten. In Ziff. 4.1 des Arbeitsvertrags ist geregelt, dass die individuelle regelmäßige Wochenarbeitszeit des Arbeitnehmers 40 Stunden beträgt. Ziff. 13.6 enthält die Bestimmung, die Vertragsparteien seien sich einig, dass keinerlei Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden (Hinweis: Im vorliegenden Verfahren wurde der Arbeitsvertrag nicht vorgelegt. Ein [Muster-]Arbeitsvertrags befindet sich in der Parallelakte 4 Sa 8/09).
Zunächst weigerte sich ein Großteil der Arbeitnehmer, den vorgelegten neuen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Im Zuge der betrieblichen Diskussionen trat die Klägerin zum 01.05.2005 der Industriegewerkschaft Metall bei. Sie unterschrieb gleichwohl am 24.06.2005 den oben genannten Arbeitsvertrag. Ein kleiner Teil der Belegschaft unterzeichnete den Arbeitsvertrag hingegen nicht.
Am 14.06.2005 schlossen Südwestmetall und die Industriegewerkschaft Metall zwei neue Manteltarifverträge ab. Der erste Manteltarifvertrag gilt für alle Betriebe, die den ERA-TV eingeführt haben. Der andere Manteltarifvertrag gilt für die sonstigen Betriebe. Nach § 21.2 MTV/ERA ersetzt dieser zum Stichtag der ERA-Einführung im Betrieb, spätestens jedoch mit seiner verbindlichen Einführung den bisherigen Manteltarifvertrag. Nach jeweils § 7.1 beider Manteltarifverträge beträgt die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit 35 Stunden.
Ab dem 01.01.2006 erbrachte die Klägerin eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden. Nach der Betriebsvereinbarung Nr. 2/2005 vom 07.12.2005 werden bei der Beklagten Arbeitszeitkonten geführt. Nach Ziff. 4 der Betriebsvereinbarung wird die Differenz zwischen der geleisteten Arbeitszeit und der Regelarbeitszeit 1:1 in das Arbeitszeitkonto übertragen. Dem Betriebsrat wird der Stand der Arbeitszeitkonten monatlich mitgeteilt; jeder Mitarbeiter kann täglich in sein Arbeitszeitkonto über das Zeiterfassungssystem Einblick nehmen. Sämtliche Arbeitnehmer leisteten eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden. Jedoch wurde bei denjenigen Arbeitnehmern, die den neuen Arbeitsvertrag nicht unterzeichnet haben, im Arbeitszeitkonto eine Regelarbeitszeit von 35 Stunden zugrunde gelegt. Bei der Klägerin betrug die im Zeiterfassungssystem hinterlegte Regelarbeitszeit hingegen 40 Stunden.
Mit Schreiben vom 29.08.2007, der Beklagten jedenfalls vor dem 07.09.2007 zugegangen, teilte die Klägerin erstmalig mit, dass sie seit Mai 2005 Mitglied der IG Metall sei. Die Klägerin vertrat die Auffas...