Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliche Einordnung der Vereinbarung der Geltung eines genau bezeichneten Anerkennungstarifvertrages
Leitsatz (amtlich)
1. Vereinbaren nicht tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien die Geltung eines genau bezeichneten Anerkennungstarifvertrages, liegt eine statische Verweisung vor. Für die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB bleibt kein Raum.
2. Verweist der so bezeichnete Anerkennungstarifvertrag dynamisch auf die jeweils geltenden Flächentarifverträge der Branche, ergibt sich aus § 305c Abs. 2 BGB nicht, dass die Dynamik der in Bezug genommenen Flächentarifverträge bei Beendigung des Anerkennungstarifvertrages weiter gilt.
Normenkette
BGB § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, § 310 Abs. 4; TVG §§ 1, 4 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 07.10.2015; Aktenzeichen 5 Ca 214/15) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 07.10.2015 - 5 Ca 214/15 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
- Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine dynamische Anwendbarkeit der Tarifverträge der chemischen Industrie.
Die Klagpartei begründete das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis am 1. Dezember 1979 mit der Firma F. GmbH, die später in die F. Group GmbH umfirmierte. Über deren Vermögen, sowie die über die Vermögen der mitverbundenen Unternehmen B. GmbH und S. GmbH wurden am 0.0.2009 Insolvenzverfahren eröffnet. Mit notariellem Vertrag vom 11. März 2010 vereinbarte die B. Group AG, die mittlerweile zur Beklagten umfirmiert hat, mit den Insolvenzverwaltern der genannten Insolvenzgesellschaften den Erwerb und die Übernahme der Vermögen der Insolvenzgesellschaften, was mit Wirkung zum 1. August 2010 geschah. Am 2. August 2010 schloss die B. Group AG rückwirkend mit Wirkung zum 1. April 2010 mit der IG BCE einen Anerkennungstarifvertrag (im Folgenden: ATV; ABl. 13 ff. der erstinstanzlichen Akte), dessen wesentliche Bestimmungen lauten:
"Präambel
Über die Vermögen der F. Group GmbH, der B. GmbH sowie der S. GmbH wurde am 0.0.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die B. Group AG hat durch notariellen Vertrag vom 11. März 2010 mit den Insolvenzverwaltern der Insolvenzgesellschaften den Erwerb und die Übernahme des wesentlichen Vermögens der Insolvenzgesellschaften entweder durch die Firma selbst oder durch eine andere Gesellschaft der B. Group-Gruppe vereinbart.
...
§ 2 Anerkennung
Es werden im Rahmen dieses Anerkennungstarifvertrages alle Tarifverträge von der Firma anerkannt und angewendet, welche von der IG BCE im Bereich der westdeutschen chemischen Industrie abgeschlossen wurden bzw. werden.
Im Einzelnen umfasst dies folgende Tarifverträge:... Bundesentgelttarifvertrag... .
Die anerkannten Tarifverträge gelten in ihrer jeweils aktuellen Fassung.
Die Anerkennung umfasst ausdrücklich auch die Tarifverträge der westdeutschen chemischen Industrie, die erst nach Abschluss dieses Anerkennungstarifvertrages abgeschlossen werden.
§ 3 Sonderregelungen für das Jahr 2010
Für das Jahr 2010 gelten folgende Sonderregelungen:
1. Aus dem Tarifvertrag über Einmalzahlung und Altersvorsorge findet der § 3 (Jahresleistung) im Jahre 2010 keine Anwendung.
2. Aus dem Tarifvertrag über Einmalzahlung und Altersvorsorge findet der § 10 (zusätzliches Urlaubsgeld) im Jahre 2010 keine Anwendung.
3. Für den Zeitraum ab dem 1. April 2010 bis zum 31. Dezember 2010 werden die bezirklichen Tarifentgeltsätze um 5 % abgesenkt.
4. Die im Rahmen des Tarifabschlusses vom 21. April 2010 für den Bereich der chemischen Industrie zu leistenden Einmalzahlungen finden keine Anwendung.
...
§ 4 Schlussbestimmungen
1. Dieser Anerkennungstarifvertrag tritt (rückwirkend) zum 1. April 2010 in Kraft.
2. Dieser Anerkennungstarifvertrag ist kündbar mit einer Frist von sechs Monaten, frühestens zum 31. Dezember 2011.
3. Hält bei ungekündigtem Vertrag eine der tarifschließenden Parteien eine Änderung oder Ergänzung des Anerkennungstarifvertrages oder einzelner seiner Bestimmungen für notwendig, so ist sie berechtigt, bei der Gegenpartei die Aufnahme von Verhandlungen zu beantragen."
Bereits vor Abschluss dieses ATV übersandten die Insolvenzverwalter der drei Unternehmen der F. Gruppe den Mitarbeitern einen arbeitgeberseits bereits unterzeichneten Vereinbarungsentwurf vom 14. Juli 2010 mit folgendem Anschreiben vom 13. Juli 2010:
"Information an die Mitarbeiter der Unternehmen
...
Letzte offene Bedingung, dass es zum Betriebsübergang kommt ist, dass die Belegschaft der insolventen Unternehmen für das Jahr 2010 (nicht darüber hinaus) einen Verzicht auf 5 % des Bruttogehalts ab dem 1. April 2010 sowie auf das Urlaubs- und Weihnachtsgeld erklärt.
Hierauf haben sich die Insolvenzverwalter der vorgenannten Unternehmen bereits mit der zuständigen Gewerkschaft, der Tarifkommission und den Betriebsräten verständigt. Ein Haustarifvertrag (Anerkenntnistarifvertrag genannt) mit entsprechendem Inhalt ist fixie...
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