Entscheidungsstichwort (Thema)
Massenentlassungsanzeige. Bedeutung der Sperrfrist nach § 18 Abs. 2 KSchG. Bedeutung der Sperrfrist nach § 18 Abs. 2 KSchG
Leitsatz (amtlich)
Europarechtskonforme Auslegung von §§ 17 KSchG:
- Die Massenentlassungsanzeige hat vor Ausspruch der Kündigung zu erfolgen.
- Die Sperrfrist von §§ 18 Abs. 2 KSchG hat nur noch die Wirkung einer Mindestkündigungsfrist.
- Keine erneute Anzeige gemäß §§ 18 Abs. 4 KSchG erforderlich, wenn die einschlägigen tariflichen, gesetzlichen oder einzelvertraglichen Kündigungsfristen länger sind, als die Summe bestehend aus Sperrfrist (§§ 18 Abs. 2 KSchG) und Freifrist (§§ 18 Abs. 4 KSchG).
Normenkette
KSchG §§ 17, 18 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Karlsruhe (Urteil vom 17.08.2007; Aktenzeichen 1 Ca 500/06) |
ArbG Karlsruhe (Urteil vom 11.05.2007; Aktenzeichen 1 Ca 529/06) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers R. gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Karlsruhe vom 11.05.2007 – Az.: 1 Ca 529/06 – und die Berufungen der Kläger U., Y., C, D. und K. gegen die Urteile des Arbeitsgerichtes Karlsruhe vom 17.08.2007 – Az.: 1 Ca 477/06, 1 Ca 478/06, 1 Ca 498/06, 1 Ca 499/06 und 1 Ca 500/06 – werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger jeweils zu 1/6.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte stellte in ihrem Betrieb in B. mit angeschlossenem Betreibsteil in K. Gummidichtungen für die Automobilindustrie her und beschäftigte zum Jahresende 2006 etwa 170 Arbeitnehmer.
Der Kläger Ziffer 1 stand seit dem 02.11.1993,
der Kläger Ziffer 2 seit dem 20.10.1990,
der Kläger Ziffer 3 seit dem 28.04.1997,
die Klägerin Ziffer 4 seit dem 03.07.1998,
die Klägerin Ziffer 5 seit dem 01.03.1993 und
der Kläger Ziffer 6 seit dem 23.10.1995
in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten, bzw. deren Rechtsvorgängerin als Maschinenbediener
Mit Schreiben vom 13.06.2006 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über ihre Absicht, den gesamten Betrieb in B. und K. bis zum 30.06.2007 zu schließen und die Produktion teilweise nach H. und teilweise nach U. zu verlagern. In H. betreibt die weltweit agierende Konzernmutter der Beklagten ein weiteres Unternehmen.
In der Folgezeit führte die Beklagte mit dem Betriebrat zunächst freie, dann in einer Einigungsstelle förmliche Verhandlungen, die am 18.10.2006 zum Abschluss eines Interessenausgleiches und eines Sozialplanes führten. Gemäß Ziffer 2.1 dieses Interessenausgleiches sollte die gesamte Produktion einschließlich der „Mischerei” und der „Oberflächenbeschichtung” schrittweise bis zum 30.06.2007 stillgelegt werden.
Mit Schreiben vom 15.11.2006 informierte die Beklagte den Betriebsrat über eine geplante Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 2 KSchG. Dieser nahm hierzu mit Schreiben vom 21.11. Stellung.
Mit Schreiben vom 27.11.2006 teilte die Beklagte der Agentur für Arbeit mit, sie beabsichtige am 29. und 30.11.2006 insgesamt 157 Arbeitnehmer zu entlassen, bat um Mitteilung des Beginns und des Endes der geregelten Sperrfrist und beantragte die Zustimmung zu deren Abkürzung.
Mit Schreiben vom 29.11.2006 sprach sie gegenüber den Klägern Ziffer 1 bis 4 und mit entsprechenden Schreiben vom 06.12.2006 gegenüber den Klägern 5 und 6 Kündigungen jeweils zum 30.06.2007 aus. Hiergegen erhoben die Kläger Ziffer 2 und 3 am 15., die Kläger Ziffer 4 bis 6 am 19. und der Kläger Ziffer 1 am 20.12.2006 Kündigungsschutzklage.
Am 11.12.2006 erteilte die Agentur für Arbeit der Beklagten einen Bescheid mit folgendem Wortlaut:
„
…
Die Entlassungssperre gemäß § 18 Abs. 1 Kündigungschutzgesetz (KSchG) beginnt für 157 Arbeitnehmer am 28.11.2006 und endet am 27.12.2006.
Damit können die beabsichtigten Entlassungen gemäß Ihrer Anzeige vom 27.11.2006 erfolgen.
Ihrem Antrag auf Verkürzung der Entlassungssperre wird nicht zugestimmt, das für diese Anzeige nach geltender Rechtslage eine Verkürzung der Entlassungssperre nicht erforderlich ist.
- Unbeschadet der Entlassungssperre sind die gesetzlichen, tariflichen oder vertraglichen Kündigungsfristen einzuhalten. Reichen sie über die Entlassungssperre hinaus, so sind die Entlassungen erst nach Ablauf der Kündigungsfrist zulässig…”
Mit Wirkung vom 01.05.2007 übertrug die Beklagte den Betriebsteil in K., in welchem die „Oberflächenbeschichtung” durchgeführt wurde, auf die Firma He.. Mit Wirkung vom 01.06.2007 wurde die Abteilung „Mischerei” einschließlich der dazugehörigen Instandhaltung und Qualitätssicherung auf die H. Schwestergesellschaft übertragen, die allerdings diese Arbeitsvorgänge vorübergehend in der B. Betriebsstätte unter ihrer Regie durchführen ließ.
Die Kläger haben die Kündigungen für sozial ungerechtfertigt gehalten mit der Begründung, die Beklagte sei im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigungen noch nicht fest entschlossen gewesen, den gesamtem Betrieb zum 30.06.2007 zu schließen. In Wahrheit habe es sich um sogenannte V...