Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Urlaubs- oder Weihnachtsgeld aus betrieblicher Übung. Betriebliche Übung bei dreimaliger vorbehaltloser Zahlung. Zulässigkeit eines Freiwilligkeitsvorbehaltes bei Sonderzahlung. AGB-Kontrolle eines vertraglichen Freiwilligkeitsvorbehaltes für Sonderzahlungen

 

Leitsatz (amtlich)

Einzelfallentscheidung zur Aufhebung einer betrieblichen Übung durch Freiwilligkeitsvorbehalt in späterem Formulararbeitsvertrag.

 

Normenkette

BGB §§ 611a, 305 Abs. 1, §§ 305b, 307; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Villingen-Schwenningen (Entscheidung vom 13.04.2021; Aktenzeichen 3 Ca 242/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.01.2023; Aktenzeichen 10 AZR 198/22)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 13.04.2021 - 3 Ca 242/20 - wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eventuelle Ansprüche des Klägers auf Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld für das Kalenderjahr 2020.

Der 47-jährige verheiratete Kläger war seit dem 1. Juli 1997 zuletzt als Maschinenbediener im Dreischichtbetrieb mit einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von 4.516,47 € brutto bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ging im Jahr 2016 auf die Beklagte über.

Zunächst erhielt der Kläger wie unten aufgelistet Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

(Dabei beziehen sich die Zahlen in den Rubriken "Urlaubsgeld" und "Weihnachtsgeld" auf den Kalendermonat der Auszahlung und das Kalenderjahr. In den Rubriken "ABl." wird unter I die erstinstanzliche Akte und dann das Aktenblatt angegeben.)

Urlaubsgeld

Höhe

ABl.

Weihnachtsgeld:

Höhe:

ABl.

6/1997

836,00 DM

I/67

11/1997

500,00 DM

I/67

6/1998

1.740,00 DM

I/68

11/1998

1.341,60 DM

I/68

7/1999

1.768,80 DM

I/69

11/1999

1.768,00 DM

I/69

7/2000

2.024,00 DM

I/58

11/2000

2.024,00 DM

I/70

7/2001

1.082,40 €

I/59

11/2001

1.082,00 €

I/71

7/2002

1.232,00 €

I/60

11/2002

1.232,00 €

I/72

7/2003

1.268,96 €

I/61

11/2003

1.268,96 €

I/73

Am 25. Februar 2004 schloss die damalige Arbeitgeberin mit dem Kläger einen schriftlichen Arbeitsvertrag (Anl. K1), dessen hier wesentliche Regelungen wie folgt lauten:

"...

3. Vergütung

a) Der Arbeitnehmer erhält ab 01.01.2004 einen Stundenlohn von 15,00 € brutto/Monatslohn von --- Euro brutto.

...

d) Die Zahlung des Lohnes/Gehaltes erfolgt jeweils am 10. des Monats, der den Monat folgt, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist. ...

e) Die Zahlung von Sonderzuwendungen insbesondere von Weihnachts- und/oder Urlaubsgeld liegt im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft, auch wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt. ...

8, Nebenabreden und Vertragsänderung

Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.

..."

In der Folgezeit leistete die damalige Arbeitgeberin bzw. die Beklagte an den Kläger wie folgt Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Urlaubsgeld

Höhe

ABl.

Weihnachtsgeld:

Höhe:

ABl.

7/2004

1.290,00 €

I/62

11/2004

1.320,00 €

I/74

6/2008

1.456,40 €

I/47

11/2008

1.456,00 €

I/50

6/2011

1.439,85 €

I/46

11/2011

1.456,00 €

I/49

6/2012

1.479,00 €

I/63

11/2012

1.469,00 €

I/75

6/2013

1.566,00 €

I/64

11/2013

1.584,00 €

I/76

7/2014

1.566,00 €

I/65

11/2014

1.584,00 €

I/77

12/2015

1.584,00 €

I/78

6/2016

1.566,00 €

I/66

6/2017

1.612,98 €

I/44

6/2018

1.653,00 €

I/48

11/2018

1.701,33 €

I/48

6/2019

1.760,00 €

I/9

11/2019

1.760,00 €

I/24

Mit seiner beim Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen eingereichten Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 1.740,00 € brutto Urlaubs- und 1.760,00 € brutto Weihnachtsgeld für das Kalenderjahr 2020 nebst Zinsen an ihn zu verurteilen und vorgetragen, während des gesamten Beschäftigungsverhältnisses seien an ihn jeweils ohne weitere Erklärung und ohne Vorbehalt mit dem Lohnlauf Juni Urlaubsgeld und mit dem Lohnlauf November Weihnachtsgeld bezahlt worden. Nicht nur er, sondern auch die anderen Mitarbeiter hätten regelmäßig mit der Juni-Abrechnung Urlaubsgeld erhalten. Erstmals auf Grundlage des von der früheren Arbeitgeberin einseitig vorgegebenen schriftlichen Dienstvertrags vom 25. Februar 2004 sei ein formularmäßig vorformulierter "Freiwilligkeitsvorbehalt" unter Ziffer 3e) aufgenommen worden. Selbst wenn dieser wirksam sei und einer AGB-Kontrolle standhalte, sei die Beklagte aufgrund der zuvor über Jahrzehnte hinweg durchgeführten Zahlung aufgrund der daraus entstandenen betrieblichen Übung nicht berechtigt, diese durch Formulararbeitsvertrag wieder faktisch aufzuheben. Im Übrigen erweise sich die Klausel als unwirksam, weil sie intransparent und widersprüchlich sei. Nähere Kriterien für die Ermessensausübung seien nicht genannt, was ihn unangemessen benachteilige, denn damit seien auch grundsätzlich unbillige Kriterien vorbehalten. Aus den Lohnabrechnungen werde deutlich, dass die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin ein tatsächliches Ver...

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