Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Selbstbeurlaubungsrecht des Arbeitnehmers. Wirksamkeit einer Vereinbarung zur unbezahlten Freistellung bis zur abschließend gerichtlichen Klärung hinsichtlich eines Anspruches nach BzG BW. Bildungsurlaub für ehrenamtliche Tätigkeit. Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Bildungsteilnahme auch für Nichtvereinsmitglieder
Leitsatz (amtlich)
1. Das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg (BzG BW) gewährt Arbeitnehmern ebenso wenig wie das Bundesurlaubsgesetz ein Selbstbeurlaubungsrecht.
2. Die Arbeitsvertragsparteien können rechtswirksam vereinbaren, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zunächst unbezahlte Freistellung außerhalb des Bildungszeitgesetzes Baden-Württemberg zur Teilnahme an einem Lehrgang gewährt und sich verpflichtet, das Arbeitsentgelt nachzuentrichten, wenn gerichtlich festgestellt würde, der Arbeitnehmer habe einen Anspruch nach dem Bildungszeitgesetz gehabt.
3. Bildungszeit nach dem Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg kann gleichermaßen für Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung, der politischen Weiterbildung und für die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten beansprucht werden.
4. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs. 1 BzG BW für die Zeit der Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme, die den Arbeitnehmer zur Wahrnehmung der angestrebten Funktion eines Übungsleiters in einem Sportverein qualfizieren soll, setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer Vereinsmitglied ist oder dass der Sportverein eine verbindliche Zusage für die spätere Ausübung der Übungsleitertätigkeit gegeben hat.
Normenkette
BzG BW §§ 1, 6, 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1; VO BzG BW § 1; VO BzG BW § 2; VO BzG BW § 3; VO BzG BW § 4; ArbGG § 64 Abs. 3 Nr. 1; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 02.10.2019; Aktenzeichen 6 Ca 41/19) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 2. Oktober 2019 - 6 Ca 41/19 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte die zugesprochenen Zinsen erst ab dem 2. Mai 2018 zu zahlen hat.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
- Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der Teilnahme an einem vom Württembergischen Landessportbund e. V. (WLSB) veranstalteten Ausbildungslehrgang.
Die Klägerin ist seit 1. August 1978 bei der Beklagten als technische Angestellte zu einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 3.998,58 € beschäftigt. Am 19. Dezember 2017 stellte sie einen Antrag auf Bewilligung von Bildungszeit (Bl. 10 der ArbG-Akte) für den Zeitraum vom 23. April bis 27. April 2018 zum Besuch der Veranstaltung "Ausbildung "Sport mit Älteren" Grundlehrgang, Ausbildung zum Übungsleiter C" des Württembergischen Landessportbundes e. V., eines anerkannten Trägers im Sinne von § 9 BzG BW. Der Antrag bezog sich auf das erste Modul einer nach dem Programmheft (Bl. 94 bis 100 der ArbG-Akte) auf drei Jahre angelegten Veranstaltung. Der Erwerb der Trainerlizenz ist erst nach vollständigem Abschluss des gesamten Lehrgangs möglich.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Schreiben vom 26. Januar 2018 ab.
Unter dem Datum 19. März 2018 richtete der T. B. e. V. eine E-Mail folgenden Inhalts an die Klägerin:
"... nach Rücksprache mit Frau M. (Vorsitzende Referat Sport) können wir Ihnen keine Bescheinigung ausstellen. Wir haben lediglich unser Interesse bekundet, dass wir an Übungsleitern interessiert sind. Wie der Bedarf in zwei bis drei Jahren ausschaut, ist im Moment nicht absehbar. Wir können uns jetzt noch nicht festlegen und bitten um Ihr Verständnis."
Die Klägerin nahm an dem beantragten Lehrgang vom 23. April bis 27. April 2018 teil, was die Beklagte als unbezahlte Fehlzeit wertete. Anderenfalls hätte die Klägerin in diesem Zeitraum Gehalt in Höhe von 761,64 € brutto bezogen.
Die Klägerin hat vorgetragen: Sie sei seit Anfang des Jahres 2018 Mitglied des T. B.. Sie beabsichtige, nach Abschluss des Lehrgangs zum einen als Trainerin beim T. B. tätig zu werden und zum anderen als Übungsleiterin in der nicht öffentlichen Betriebssportgruppe Gymnastik der Beklagten. Bildungszeit sei für solche Qualifizierungsmaßnahmen möglich, die dazu befähigen sollen, Aufgaben der Anleitung, Lehre und Organisation in Ehrenamtsbereichen wie Sport auszuüben. Befähigung sei im Sinne von Erlernung und nicht im Sinne von Verbesserung oder Fortführung zu verstehen. Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der -begründung lasse sich ableiten, dass ein Anspruch auf Bildungszeit nur dann besteht, wenn bereits bei Beginn der Bildungsmaßnahme feststeht, dass der Arbeitnehmer nach Abschluss der Qualifizierung bei einer bestimmten Einrichtung eine bestimmte ehrenamtliche Tätigkeit übernehmen würde. Zweck des Gesetzes sei, das ehrenamtliche Engagement zu stärken auch für diejenigen, die erstmalig eine ehrenamtliche Tätigkeit aufnehmen wollen.
Die...