Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer tarifvertraglichen Bestimmung, nach welcher bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit die Bestimmungen des Lohnfortzahlungsgesetzes gelten, handelt es sich nicht um eine eigenständige tarifliche Regelung im konstitutiven Sinne, die die gesetzliche Regelung des § 4 Abs 1 Satz 1 EFZG (JURIS: Entg FG) i.d.F. des Art. 3 Nr. 2 a) des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996 verdrängt (JURIS: WFArbRG).
2. Erhalten Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder infolge eines Betriebsunfalls gestaffelt nach der Dauer ununterbrochener Tätigkeit im gleihen Betrieb für näher bestimmte Zeiträume nach Ablauf des gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraums von ihrem Arbeitgeber nach dem Tarifvertrag den Unterschiedsbetrag zwischen den aus Anlaß der Krankheit bzw. des Betriebsunfalls von Versicherungsträgern und privaten Kassen bezogenen Leistungen und 100% des Nettobetrages der Monatsbezüge als Zuschuß, so handelt es sich dabei um eine eigenständige tarifvertragliche Regelung. Aus ihr kann jedoch nicht geschlossen werden, der Arbeitgeber schulde den betreffenden und allen anderen Arbeitnehmern gegenüber auch in den ersten sechs Wochen der Krankheit Entgeltfortzahlung in ungekürzter Höhe (a.A. LAG Düsseldorf, Urt. v. 16. Juni 1997 – 18 Sa 410197, LAGE § 4 EFZG Tarifverträge Nr. 1).
Normenkette
EFZG § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 02.07.1997; Aktenzeichen 12 Ca 672/97) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart, Kammern Ludwigsburg vom 02. Juli 1997 – Az: 12 Ca 672/97 – abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % seines Bruttoverdienstes beanspruchen kann.
Der am 02. Januar 1954 geborene Kläger ist seit dem 05. Januar 1988 bei der Beklagten als Müllwerker beschäftigt. Sein Stundenlohn belief sich im Januar 1997 auf DM 26,06 und im Februar 1997 auf DM 25,69 bei einer 38-Stunden-Woche. Der Kläger ist Mitglied der ÖTV, die Beklagte ihrerseits ist Mitglied des Verbandes des Speditionsgewerbes e.V.. Kraft Tarifgebundenheit der Parteien gilt der Manteltarifvertrag für die Arbeiter der Spedition und des Güternahverkehrs in Baden-Württemberg vom 30. Mai 1989, der zuletzt am 13. Juni 1995 geändert worden ist (zukünftigt: MTV). In diesem Tarifvertrag ist unter § 12 die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle wie folgt geregelt:
- „Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit gelten die Bestimmungen des Lohnfortzahlungsgesetzes.
Arbeitnehmer erhalten als Zuschuß zu den Barleistungen der Krankenkasse über die Dauer von 6 Wochen hinaus
a) bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit
nach 5-jähriger ununterbrochener Tätigkeit im gleichen Betrieb |
bis zu 1 Monat |
nach 10-jähriger ununterbrochener Tätigkeit im gleichen Betrieb |
bis zu 2 Monate |
nach 15-jähriger ununterbrochener Tätigkeit im gleichen Betrieb |
bis zu 3 Monate |
b) bei Arbeitsunfähigkeit infolge eines Betriebsunfalles
nach 3-jähriger ununterbrochener Tätigkeit im gleichen Betrieb |
bis zu 8 Wochen |
nach 8-jähriger ununterbrochener Tätigkeit im gleichen Betrieb |
bis zu 10 Wochen |
den Unterschiedsbetrag zwischen den aus Anlaß der Krankheit von Versicherungsträgern und privaten Kassen bezogenen Leistungen und 100 % des Nettobetrages der Monatsbezüge. Für die Berechnung dieses Zuschusses ist das Bruttokrankengeld zugrunde zu legen, also ohne Abzug der Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge …”
Nach dem übereinstimmenden Vorbringen beider Parteien haben die Tarifvertragsparteien seit Inkrafttreten des Entgeltfortzahlungsgesetzes die teilweise günstigeren Vorschriften angewandt. Der Kläger war am 20. Januar 1997 und vom 12. bis 14. Februar 1997 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte hat als Entgeltfortzahlung für den einen Tag im Januar einen Stundenlohn in Höhe von DM 20,85 und für die Krankheitstage im Februar einen solchen in Höhe von DM 20,55 abgerechnet. In der Zwischenzeit verhandeln die Tarifvertragsparteien über eine Sicherung der Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 %.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % seines Brutto-Stundenlohnes zu. Die Beklagte habe zu Unrecht die volle Entgeltfortzahlung verweigert. § 12 Nr. 1 MTV beinhalte eine eigenständige Regelung. Es handle sich um eine statische Verweisung ohne Jeweiligkeitsklausel auf das Lohnfortzahlungsgesetz. Im übrigen ergebe sich aus dem Gesamtzusammenhang der tarifvertraglichen Regelungen, daß eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % gewollt sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 156,74 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klagzustellung zu bezahlen.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Antrags auf Klagabweisung geltend gemacht, vorliegend richte sich die En...