Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG und § 174 BGB
Leitsatz (amtlich)
Auf die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ist § 174 BGB jedenfalls analog anzuwenden. Leitet die Anhörung des Verfahrens ein betriebsfremder Dritter (hier: Rechtsanwalt) ein, hat er diesbezüglich eine Originalvollmacht dem Betriebsrat vorzulegen. Insoweit handelt es sich jedenfalls um eine geschäftsähnliche Handlung, da sie eine auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete (Willens-) Handlung ist, deren Rechtsfolge kraft Gesetzes – vorliegend: Beginn des Laufs der Stellungnahmefrist des Betriebsrats – eintritt. Die analoge Anwendung des § 174 BGB, das heißt die entsprechende Gleichsetzung der geschäftsähnlichen Handlung mit dem Tatbestandsmerkmal Rechtsgeschäft, rechtfertigt sich aus der bestehenden Regelungslücke und der vergleichbaren Interessenlage, die dem Normzweck des § 714 BGB zu Grunde liegt. Aufgrund der durch beide Tatbestände eintretenden Rechtswirkung soll die Ungewissheit, ob ein einseitiges Rechtsgeschäft oder eine geschäftsähnliche Handlung von einem wirklich Bevollmächtigten ausgeht und der Vertretene diese gegen bzw. für sich gelten lassen muss, ausgeschlossen werden.
Normenkette
BGB § 174; BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 24.09.2010; Aktenzeichen 18 Ca 483/10) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24.09.2010 – 18 Ca 483/10 – in Bezug auf die Beklagte zu 2 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- Es wird festgestellt, dass das zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 begründete Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten zu 2 vom 29.12.2009 nicht aufgelöst worden ist.
- Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Klägerin und die Beklagte zu 2 tragen die Gerichtskosten je zur Hälfte. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. Die Beklagte zu 2 trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die von der Beklagten zu 2 in ihrer Eigenschaft als Sonderliquidatorin am 29.12.2009 zum 31.03.2010 ausgesprochene ordentliche betriebsbedingte Kündigung des zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 begründeten Arbeitsverhältnisses.
Wegen des erstinstanzlichen unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien einschließlich ihrer Rechtsansichten wird auf den nicht angegriffenen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts sowie den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen und verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 24.09.2010 das gegen die Beklagte zu 1 mit einem allgemeinen Feststellungsantrag verbundene Kündigungsschutzbegehren als unzulässig und die Anträge gegen die Beklagte zu 2 als unbegründet abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird, soweit vorliegend von Interesse, auf die Entscheidungsgründe unter I und II 1 bis 6 Bezug genommen und verwiesen.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 14.10.2010 zugestellte Urteil mit beim Berufungsgericht am 08.11.2010 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und sie mit beim Landesarbeitsgericht am 13.12.2010 (Montag) eingegangenem Schriftsatz ausgeführt.
Sie rügt auf der Grundlage ihres Begründungsschriftsatzes vom 13.12.2010, auf den Bezug genommen und verwiesen wird, näher bestimmt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts.
Die Klägerin beantragt zuletzt:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24.09.2010, Az.: 18 Ca 481/10, wird wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das zwischen der Beklagten Ziffer 1 und dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 29.12.2009 nicht zum 31.03.2010 aufgelöst worden ist.
Die Beklagten beantragen,
Die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil auf der Grundlage ihres Schriftsatzes vom 13.01.2011. Auf den Inhalt der übrigen in zweiter Instanz eingereichten Schriftsätze und Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
1. Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 3 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
2. Einerseits hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter I. der Berufungsbegründung ausgeführt, das erstinstanzliche Urteil werde zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt, soweit die Klage gegen die Beklagte Ziffer 2 abgewiesen worden sei. Andererseits hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dieselben Anträge wie in 1. Instanz gestellt und unter III. zur Passivlegitimation der Beklagten Ziffer 1 ausgeführt. Die Berufung ist daher dahin auszulegen, dass das erstins...