Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinbarung einer tariflichen Vertragsstrafe. Auslegung von Regelungen im Haustarifvertrag als Vertragsstrafe. Lohnerhöhung bei Nichterfüllung tariflich zugesagter Verpflichtungen durch Arbeitgeber. Lohnerhöhung für Arbeitnehmer bei Nichtsanierung sanitärer Einrichtungen. Anpassung einer Vertragsstrafenregelung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
Leitsatz (amtlich)
1. Auch in einem Tarifvertrag kann als Inhaltsnorm eine Vertragsstrafe vereinbart sein, deren Inhalt für den Fall einer nicht ordnungsgemäßen Erfüllung einer tarifvertraglichen Verpflichtung eine Verpflichtung zu einer weiteren Lohnerhöhung der Arbeitnehmer sein kann.
2. Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem Haustarifvertrag zur Zahlung von (weiteren) Lohnerhöhungen für die Arbeitnehmer, falls er bestimmte betriebliche sanitäre Einrichtungen nicht fristgerecht grundsaniert, so ist durch Auslegung des Tarifvertrages zu ermitteln, ob es sich dabei um eine Vertragsstrafe handelt.
3. Eine solche Vertragsstrafe kann jedenfalls nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB angepasst und ggf. angemessen herabgesetzt werden.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 1; BGB § 343; HGB § 348; BGB § 242; ZPO § 92 Abs. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 21.08.2020; Aktenzeichen 2 Ca 59/20) |
ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 07.07.2020; Aktenzeichen 2 Ca 59/20) |
Nachgehend
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 7. Juli 2020 - 2 Ca 59/20 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Vergütung
- für den Monat Juli 2019 in Höhe von 4,60 Euro brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit 1. August 2019,
- für den Monat August 2019 in Höhe von 4,67 Euro brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit 1. September 2019,
- für den Monat September 2019 in Höhe von 4,76 Euro brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit 1. Oktober 2019,
- für den Monat Oktober 2019 in Höhe von 4,64 Euro brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit 1. November 2019,
- für den Monat November 2019 in Höhe von 7,16 Euro brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit 1. Dezember 2019,
- für den Monat Dezember 2019 in Höhe von 4,50 Euro brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit 1. Januar 2020
zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger gemäß dem zwischen der IG Metall Bezirksleitung Baden-Württemberg und der Beklagten geschlossenen Tarifvertrag über Entgelte und Ausbildungsvergütung vom 15. Mai 2018 ab 1. Juli 2019 für dessen Laufzeit ein um 0,1% erhöhtes monatliches Entgelt der Entgeltgruppe 8 auf Basis einer 38 Stunden-Woche (tarifliches Grundentgelt zzgl. Leistungsentgelt) sowie alle weiteren Entgeltbestandteile, deren Höhe rechnerisch von der Höhe des tariflichen Entgelts abhängt, um 0,1% erhöht zu zahlen.
II.
Der Kläger trägt 80% der Kosten des Rechtsstreits, die Beklagte 20%.
III.
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, aus einem Haustarifvertrag eine Entgelterhöhung ab 1. Juli 2019 zu zahlen, weil die Beklagte sanitäre Einrichtungen nicht bis 30. Juni 2019 "grundsaniert" hat.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, das an ihrem Standort in G. mehrere 100 Arbeitnehmer beschäftigt. Ein Betriebsrat ist errichtet. Die Parteien stehen seit 15. Februar 2011 in einem Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem Arbeitsvertrag vom 22. Juli 2011 (Anl. K1, Bl. 7 ff. der erstinstanzlichen Akte). Die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers betrug im streitgegenständlichen Zeitraum 38 Stunden. Die Vergütung ist zum Monatsende fällig. Nach § 16 des Arbeitsvertrages finden auf das Arbeitsverhältnis die für den Betrieb räumlich und fachlich geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung Anwendung, soweit im Einzelfall nicht ausdrücklich etwas anderes zwischen den Parteien vereinbart worden ist. Nach § 17 sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb tariflicher Fristen geltend zu machen.
Die Beklagte war ehemals Mitglied des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. - nachfolgend: Südwestmetall -. Zum 31. Dezember 2015 kündigte sie ihre Mitgliedschaft. Unter dem 15. Juni 2015 schloss sie mit der IG Metall Bezirk Baden-Württemberg einen Firmen-Tarifvertrag, nach dessen § 2 i.V.m. einer Anlage 1 sie zahlreiche Tarifverträge für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie anerkannte. Nach § 3 gelten zukünftige in der Fläche abgeschlossene Tarifverträge als anerkannt, wenn die Beklagte nicht innerhalb bestimmter Fristen widerspricht. Im Falle der Ablehnung sind betriebliche Verhandlungen aufzunehmen. Wird ein Entg...