Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsstrafe bei Verstoß gegen tarifliche Pflichten des Arbeitgebers. Auslegung tariflicher Regelungen als Vertragsstrafe. Lohnerhöhung bei nicht rechtzeitiger Sanierung von Sanitäreinrichtungen. Regelung der Höhe der tariflichen Vertragsstrafe über § 242 BGB

 

Leitsatz (amtlich)

1 Auch in einem Tarifvertrag kann als Inhaltsnorm eine Vertragsstrafe vereinbart sein, deren Inhalt für den Fall einer nicht ordnungsgemäßen Erfüllung einer tarifvertraglichen Verpflichtung eine Verpflichtung zu einer weiteren Lohnerhöhung der Arbeitnehmer sein kann.

2 Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem Haustarifvertrag zur Zahlung von (weiteren) Lohnerhöhungen für die Arbeitnehmer, falls er bestimmte betriebliche sanitäre Einrichtungen nicht fristgerecht grundsaniert, so ist durch Auslegung des Tarifvertrages zu ermitteln, ob es sich dabei um eine Vertragsstrafe handelt.

3 Eine solche Vertragsstrafe kann jedenfalls nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB angepasst und ggf. angemessen herabgesetzt werden.

 

Normenkette

TVG § 4 Abs. 1; BGB § 343; HGB § 348; BGB § 242; ZPO § 92 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 21.08.2020; Aktenzeichen 2 Ca 126/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 22.02.2023; Aktenzeichen 4 AZR 74/22)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 21.08.2020 - 2 Ca 126/20 - abgeändert.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16,52 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.03.2020 zu bezahlen.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5,60 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2020 sowie 9,24 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2020 zu bezahlen.
  4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  5. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
  6. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5 zu tragen.
  7. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, aus einem Haustarifvertrag eine Entgelterhöhung ab 1. Juli 2019 zu zahlen, weil die Beklagte sanitäre Einrichtungen nicht bis 30. Juni 2019 "grundsaniert" hat.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, das an ihrem Standort in G. etwa 700 Arbeitnehmer beschäftigt. Ein Betriebsrat ist errichtet. Die Parteien stehen seit 15. Februar 2005 in einem Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien nach den für die Betriebe der Beklagten räumlich und fachlich geltenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung, soweit im Einzelfall nicht ausdrücklich etwas Anderes zwischen ihnen vereinbart worden ist. Die Klägerin ist nach ihrem unbestrittenen Vortrag tarifgebunden durch Mitgliedschaft in der IG Metall.

Die Beklagte war ehemals Mitglied des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V.. Zum 31. Dezember 2015 kündigte sie ihre Mitgliedschaft. Unter dem 15. Juni 2015 schloss sie mit der IG Metall Bezirk Baden-Württemberg einen Firmen-Tarifvertrag, nach dessen § 2 i.V.m. einer Anlage 1 sie zahlreiche Tarifverträge für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie anerkannte. Nach § 3 gelten zukünftige in der Fläche abgeschlossene Tarifverträge als anerkannt, wenn die Beklagte nicht innerhalb bestimmter Fristen widerspricht. Im Falle der Ablehnung sind betriebliche Verhandlungen aufzunehmen. Wird ein Entgelttarifvertrag abgelehnt, muss mindestens die Hälfte der Tariferhöhung spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Flächentarifvertrages gezahlt werden.

Die Verhandlung über den Entgelt-TV wurde aufgenommen aufgrund des Abschlusses eines neuen Entgelttarifvertrages für die Fläche und des Widerspruches durch die Beklagten nach Maßgabe von § 3 des Firmen-Tarifvertrages.

Die Verhandlungen über den Entgelt-TV fanden am 3. April 2018, 20. April 2018, 2. Mai 2018 und 14./15. Mai 2018 statt.

Die Verhandlungskommission auf der Seite der Gewerkschaft IG Metall bestand aus Frau P., Herrn S. - damaliger Betriebsratsvorsitzender, Herrn D. und Herrn B..

Die Verhandlungskommission auf der Arbeitgeberseite bestand aus Frau Z., Herrn L. und Herrn H..

Die ursprünglichen Forderungen der Arbeitnehmerseite beruhten auf dem Tarifergebnis der Metall- und Elektroindustrie im Jahr 2018 und beinhalteten eine Entgelterhöhung in Höhe von 100 € für jeden Beschäftigten für die Monate Januar bis März 2018, eine Entgelterhöhung in Höhe von 4,3% ab dem 1. April 2018 und die Gewährung des tariflichen Zusatzgeldes und des tariflichen Zusatzbetrages nach Maßgabe des Tarifvertrages zum tariflichen Zusatzgeld Abschluss für die Fläche vom 6. Februar 2018.

Bereits in der ersten Tarifverhandlung am 3. April 2018 war Gegenstand auf Anregung von Herrn L., ob es nicht betriebliche Themen gebe, die für die Beschäftigten wichtig sind und in den Entgelttarifvertrag einbezogen werden ...

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