Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahl der zu Entlassenden. fehlerhafte Angaben. Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anzahl der zu entlassenden Arbeitnehmer gehört zu den „Muss”-angaben des § 17 Abs. 3 Ziffer 4 KSchG
2. Unrichtige Angaben hinsichtlich der Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer führen nur dann zur Unwirksamkeit von Kündigungen, wenn sie Auswirkungen auf die Arbeit der Agentur für Arbeit haben konnten.
3. Dies ist regelmäßig nicht der Fall, wenn die angegebene Zahl der zu Entlassenen die der tatsächlich beabsichtigten oder ausgesprochenen Kündigungen geringfügig übersteigt.
Normenkette
KSchG § 17
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Urteil vom 23.02.2010; Aktenzeichen 4 Ca. 557/09) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg, vom 23.02.2010, Az.: 4 Ca. 557/09, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung.
Der Kläger, 42 Jahre alt, war seit 01.02.2006 bei der Beklagten als Leiter Finanzen und zentrale Dienste gegen eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung von 8.916,67 EUR beschäftigt. Am 27.08.2009 beschloss die Gesellschafterversammlung der Beklagten die sofortige Schließung der von ihr betriebenen onkologischen Fachklinik, in der es keinen Betriebsrat gab. Bereits am Folgetag zeigte die Beklagte gegenüber der Agentur für Arbeit die Entlassung ihrer Belegschaft an. In dem von ihr verwendeten Formular gab sie an, bei ihr seien in der Regel 67 und zum Zeitpunkt der Anzeige 66 Arbeitnehmer beschäftigt. Es sei beabsichtigt, am 31.08.2009 66 Arbeitnehmer zu entlassen.
Mit Schreiben vom 31.08.2009 kündigte die Beklagte sodann das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 28.02.2010 und sprach zugleich und bis zum 29.09.2009 weitere insgesamt 57 Kündigungen aus. Die zunächst nicht gekündigten Mitarbeiter befanden sich in Mutterschutz oder Elternzeit und konnten infolge Sonderkündigungsschutzes nicht sofort gekündigt werden.
Unter dem 31.08.2009 bestätigte die Agentur für Arbeit den Eingang der Massenentlassungsanzeige und forderte die Beklagte auf, eine Liste der zur Entlassung vorgesehenen Mitarbeiter vorzulegen. Nach Eingang dieser Liste stellte der zuständige Sachbearbeiter der Agentur fest, dass nur 58 Mitarbeiter aufgeführt waren und korrigierte auf telefonische Nachfrage bei der Beklagten am 10.09.2009 das Formular der Massenentlassungsanzeige dahingehend, dass er die Zahl der regelmäßig Beschäftigten, der zum Zeitpunkt der Kündigung Beschäftigten und der insgesamt und am 31.08.2009 zu Kündigenden jeweils handschriftlich in 58 abänderte. Mit Bescheid vom 17.09.2009 setzte die Agentur für Arbeit sodann den Ablauf der Entlassungssperre nach § 18 KSchG für 58 Arbeitnehmer auf den 28.09.2009 fest.
Der Kläger hat die Kündigung wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige für unwirksam gehalten und beantragt,
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.08.2009 mit Ablauf des 28.02.2010 enden wird.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die ursprünglich unrichtigen Zahlenangaben machten weder die Massenentlassungsanzeige fehlerhaft, noch gar die Kündigung rechtsunwirksam.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteienvorbringens erster Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Beklagte habe die erforderliche Massenentlassung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angezeigt. Wesentlich sei, dass alle Kündigungen, die die Beklagte am 31.08.2009 bzw. in den Folgetagen ausgesprochen habe, von der Massenentlassungsanzeige erfasst gewesen seien und zwar deshalb, weil die Zahlen, die die Beklagte angegeben hatte, zu hoch gewesen seien. Die falsche Angabe habe die Arbeitsverwaltung nicht daran gehindert, durch rechtzeitige und gezielte Maßnahmen das Entstehen größerer Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder zu verzögern, der arbeitsmarktpolitische Zweck der Massenentlassungsanzeige sei damit erfüllt gewesen. Da der Sachbearbeiter der Arbeitsverwaltung die handschriftlichen Korrekturen selbst vorgenommen und die ursprüngliche Anzeige unter Berücksichtigung der Korrekturen bearbeitet habe, habe er incident festgestellt, dass eine wirksame Massenentlassungsanzeige vorlag. An diese Entscheidung seien die Gerichte für Arbeitssachen gebunden.
Der Kläger hat gegen das ihm am 06.04.2010 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 04.05.2010 Berufung eingelegt und sie am 11.05.2010 begründet. Er bleibt bei seiner Rechtsauffassung, die Kündigung sei wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam. § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG fordere als zwingende Mindestangaben unter anderem die Zahl der zu kündigenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer. Fehle einer der in § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG aufge...