Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang. betriebsmittelarmer Betrieb. Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (amtlich)
1. In Fällen betriebsmittelarmer Betriebe findet ein Betriebsübergang statt, wenn der wesentliche Teil des Personals vom neuen Arbeitgeber übernommen wird. Werden 35 bis 40 % der ehemaligen Arbeitnehmer des alten Arbeitgebers eingestellt, kann allein anhand der Prozentzahl nicht festgestellt werden, ob es sich um den wesentlichen Teil der alten Belegschaft handelt oder nicht (im Anschluss an BAG, Urteil vom 26.07.2007, 8 AZR 769/06).
Es kommt insoweit auf die Struktur und den Personaleinsatz des alten Betriebs an, die von der Partei darzulegen sind, die sich auf einen Betriebsübergang beruft.
2. Zu den Anforderungen an die Vollständigkeit einer Massenentlassungsanzeige gem. § 17 Abs. 3 KSchG:
Eine Massenentlassungsanzeige ist auch dann vollständig, wenn die Stellungnahme des Betriebsrats zur beabsichtigten Massenentlassung in einem Interessenausgleich festgehalten ist, hierauf im Rahmen der Massenentlassungsanzeige hingewiesen und der Interessenausgleich beigefügt wird (a. A. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.05.2010, 14 Sa 11/10; Urteil vom 21.07.2010, 13 Sa 31/10).
Normenkette
BGB § 613a; KSchG § 17
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Urteil vom 27.08.2010; Aktenzeichen 1 Ca 123/10) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 27.08.2010 (1 Ca 123/10) wird zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung des Beklagten Ziff. 1 wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 27.08.2010 teilweise wie folgt abgeändert:
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen trägt die Klägerin.
4. Soweit sich die Klage gegen den Beklagten Ziff. 1 richtet, wird die Revision zugelassen. Soweit sich die Klage gegen die Beklagte Ziff. 2 richtet, wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin und der Beklagte Ziff. 1 streiten sich darüber, ob der Beklagte Ziff. 1, Insolvenzverwalter des Vermögens der C. Deutschland GmbH (im Folgenden: C.), das Arbeitsverhältnis der Klägerin und der C. mit Schreiben vom 12.10.2009 wirksam ordentlich zum 31.01.2010 kündigen konnte. Ein weiteres Kündigungsschutzverfahren der Parteien, das die vorsorgliche ordentliche Kündigung des Beklagten Ziff. 1 vom 12.02.2010 zum 31.05.2010 zum Gegenstand hat, ist vor dem Arbeitsgericht Mannheim unter dem Aktenzeichen 1 Ca 237/10 anhängig.
Gegenüber der Beklagten Ziff. 2 macht die Klägerin geltend, ihr Arbeitsverhältnis mit der C. sei in Folge eines Betriebsübergangs auf die Beklagte Ziff. 2 übergegangen.
I.
Die Klägerin wurde am 10.07.1962 geboren. Sie ist ledig. Seit dem 01.10.1990 arbeitete sie für die C. bzw. deren Rechtsvorgänger. Zuletzt war sie in der Buchhaltung tätig und u.a. für die Monats- und Jahresabschlüsse zuständig. Außerdem fungierte die Klägerin als Ansprechpartnerin der Wirtschaftsprüfer. Das Bruttomonatseinkommen betrug ca. 3.850,– Euro.
Die C. war auf dem Gebiet der Rechenzentren (Data-Center) tätig. Sie bot insoweit Beratungsleistungen an und handelte mit der erforderlichen Hardware. (Die Beklagte Ziff. 2 weist ein entsprechendes Geschäftsfeld auf.) Zusätzlich bot die C. Service- und Wartungsleistungen über die Tochtergesellschaft C. Services GmbH und deren Mitarbeiter an.
Am 28.07.2009 wurde der Antrag gestellt, das Insolvenzverfahren über das Vermögen der C. zu eröffnen. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten 170 Arbeitnehmer für die C..
Vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verkaufte der Beklagte Ziff. 1 als vorläufiger Insolvenzverwalter die Service- und Wartungsverträge der C. an die A. I. Solutions GmbH in B.. Die C. hatte ihre Service- und Wartungsverträge nicht mit eigenen Mitarbeitern erfüllt, sondern die Tochtergesellschaft C. Service GmbH damit beauftragt, die entsprechenden Dienstleistungen zu erbringen. Die Arbeitnehmer der C. Service GmbH wurden von der A. I. Solutions GmbH übernommen.
Das Insolvenzverfahren wurde am 01.10.2009 eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Beklagte Ziff. 1 bestellt. Die Mitarbeiterzahl der C. war zwischenzeitlich auf Grund von Eigenkündigungen auf 96 gesunken. Noch am Tag seiner Bestellung zum Insolvenzverwalter veranlasste der Beklagte Ziff. 1 Folgendes:
- Er stelle alle verbliebenen Mitarbeiter mit Ausnahme von 22 von ihren Arbeitspflichten frei. Die nicht freigestellten Mitarbeiter setzte er für Abwicklungsarbeiten ein. Ende November 2009 waren noch ca. 10 Arbeitnehmer mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt.
- Er zeigte gegenüber dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit an.
- Er händigte dem Betriebsrat der C. das Schreiben vom 01.10.2009. Mit diesem Schreiben unterrichtete er den Betriebsrat darüber, dass er den Betrieb der C. stilllege und deshalb sämtliche noch bestehenden Arbeitsverhältnisse kündigen werde. Es gehe um eine Massenentlassung im Sinne des § 17 KSchG. Hierzu gab der Beklagte Ziff. 1 zweckdienliche Auskünfte und bot dem Betriebsrat an, in Beratungen gem. § 17 Abs. 3 KSchG einzutreten. (Im Einzelnen s. Anla...