Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbedingte Kündigung bei Betriebsstilllegung. unschlüssige Kündigungsschutzklage bei Bestreiten betrieblicher Teileinheiten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Stilllegung des gesamten Betriebes durch die Arbeitgeberin gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG, die einen Grund für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können; unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass die Unternehmerin die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen.

2. Von einer Stilllegung kann jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn die Arbeitgeberin eine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Beschäftigten kündigt, etwaige Miet- oder Pachtverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die sie verfügen darf, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt; an einem endgültigen Beschluss zur Betriebsstilllegung fehlt es hingegen, wenn die Arbeitgeberin im Zeitpunkt der Kündigung noch in Verhandlungen über eine Veräußerung ihres Betriebes steht und gleichwohl wegen Betriebsstilllegung kündigt.

3. Eine von der Arbeitgeberin mit einer Stilllegungsabsicht begründete Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich die geplante Maßnahme objektiv als Betriebsstilllegung und nicht als Betriebsveräußerung darstellt; eine etwaige unzutreffende rechtliche Bewertung der Arbeitgeberin über diesen Vorgang ist unerheblich.

4. Eine Kündigung ist nicht deshalb nach § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam, wenn die Arbeitgeberin rechtsirrig einen Sachverhalt als Betriebsübergang qualifiziert, der bei zutreffender rechtlicher Würdigung eine Betriebsstilllegung darstellt.

5. Die Weiterführung eines erheblich eingeschränkten Betriebs trotz der Nutzung sächlicher Betriebsmittel der früheren Betriebsinhaberin schließt einen vollständigen Betriebsübergang grundsätzlich aus.

6. Ein im Rahmen des § 613 a Abs. 1 BGB übergangsfähiger bloßer Betriebsteil ist eine Teileinheit (Teilorganisation des Betriebs), welche sich bei Übertragungen von sächlichen und immateriellen Betriebsmitteln als eine organisatorische Untergliederung darstellt, mit der innerhalb des betriebstechnischen Gesamtzwecks ein Teilzweck (wenn auch nur als untergeordnete Hilfsfunktion) verfolgt wird.

7. Streitet die Arbeitnehmerin die von der Arbeitgeberin behauptete Organisation der Geschäftsbereiche verbunden mit ihrem Vortrag, dass sie in der Vergangenheit als Speditionskauffrau in sämtlichen Bereichen eingesetzt worden ist, ab und stellt sie schon das Bestehen von betrieblichen Teileinheiten unter Sachvortrag in Abrede, gibt es nichts, was im Rahmen eines Teilbetriebsübergangs hat übergehen können; insoweit ist der klägerische Sachvortrag unschlüssig.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3; BGB § 613 a Abs. 1, § 613a Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 20.03.2012; Aktenzeichen 4 Ca 33/11)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 21.05.2015; Aktenzeichen 8 AZR 409/13)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Berufung der Beklagten zu 1) wird das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 20.03.2012 - Az: 4 Ca 33/11 - teilweise abgeändert:

    Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

  • 2.

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 20.03.2012 - Az: 4 Ca 33/11 - wird zurückgewiesen.

  • 3.

    Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  • 4.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis zwischen die Klägerin und der Beklagten zu 1 durch die ordentliche Kündigung der Beklagten zu 1 (datiert) vom 23.12.2010 zum 31.07.2011 aufgelöst worden ist oder nicht und darüber, ob zwischen die Klägerin und der Beklagten zu 2 seit 01.01.2011 ein Arbeitsverhältnis besteht. Für den Fall, dass die Kündigung der Beklagten zu 1 vom 23.12.2010 unwirksam sein sollte und ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 2 weder ab 01.01.2011 noch zu einem anderen Zeitpunkt danach zustande gekommen sein sollte streiten sie noch darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten zu 1 (datiert) vom 28.07.2011 zum 29.02.2012 aufgelöst worden ist oder nicht.

Die am 08.10.1970 geborene, verheiratete und einem Kind unterhaltsverpflichtete Klägerin war bei der Beklagten zu 1 seit 01.09.1990 als Speditionskauffrau, zuletzt in der Sachbearbeitung für Großkunden im Sammelguteingang, beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis der Parteien liegt ein schriftlicher Arbeitsvertrag zugrunde. Das monatliche Bruttoarbeitsentgelt die Klägerin betrug zuletzt 2.660,00 EUR (so die Klägerin) beziehungsweise 2.515,- EUR (so die Beklagte zu 1).

Die Beklagte zu 1 betreibt ei...

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