Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahmeverzug. Strafhaft des Arbeitnehmers. Ablehnung des beantragten Freigangs durch die Arbeitgeberin

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Arbeitgeber kann kraft des zwischen ihm und dem Arbeitnehmer bestehenden Arbeitsverhältnisses verpflichtet sein, gegenüber der Justizvollzugsanstalt seine Zustimmung zur Beschäftigung eines in Strafhaft befindlichen Arbeitnehmers im Freigang zu erklären. Der Arbeitgeber ist in den Grenzen des Zumutbaren verpflichtet, an der Erlangung des Freigängerstatus mitzuwirken, um so dem Arbeitnehmer die vertragliche Arbeitsleistung zu ermöglichen (Fortführung von BAG, Urteil v. 09.03.1995 – 2 AZR 497/94).

 

Normenkette

BGB §§ 615, 293 ff.; StVollzG § 11 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 20.07.2005; Aktenzeichen 29 Ca 592/05)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom20.07.2005 – 29 Ca 592/05 – teilweise abgeändert und klarstellend neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 13 558,59 brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.07.2004 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger trägt 26 % und die Beklagte 74 % der Kosten des Rechtsstreites.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers aus Annahmeverzug aus Anlass der von der Beklagten verweigerten Zustimmung zur Beschäftigung des Klägers im Freigang.

Der Kläger ist seit 17.08.1998 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilbranche, in deren Werkteil M., Abteilung GLD I, zuletzt als Gabelstaplerfahrer im Drei-Schicht-Betrieb in der 35-Stunden-Woche gegen einen Bruttomonatsverdienst von EUR 2 913,83 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit das Tarifregime der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden Anwendung. Am 17.12.2002 wurde der Kläger vorläufig festgenommen, ab 18.12.2002 saß er wegen des Verdachtes des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Untersuchungshaft. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 08.04.2003 zugegangenem Schreiben vom 07.04.2003 zum 31.05.2003 wegen der haftbedingten Unmöglichkeit der Leistungserbringung des Klägers. Hiergegen reichte der Kläger mit beim Arbeitsgericht am 23.04.2003 eingegangenem Schriftsatz, der Beklagten am 30.04.2003 zugestellt, Kündigungsschutzklage nebst entsprechendem Weiterbeschäftigungsantrag ein. Hiermit bot er ausdrücklich seine Arbeitskraft auch über den Ablauf der Kündigungsfrist an. Mit Urteil vom 12.06.2003 wurde der Kläger durch das Amtsgericht Sigmaringen wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten ohne Bewährung verurteilt. Auf seine Berufung wurde die Gesamtfreiheitsstrafe auf zwei Jahre und drei Monate abgeändert. Auf die Freiheitsstrafe wurde die Dauer der Untersuchungshaft angerechnet. Nach seiner vorläufigen Festnahme und der Anordnung der Untersuchungshaft saß der Kläger in der Justizvollzugsanstalt Rottenburg seine Strafhaft bis zum 17.06.2004 ab. Das Arbeitsgericht Stuttgart (6 Ca 4769/03) entsprach mit Urteil vom 11.12.2003 dem Kündigungsschutzantrag des Klägers und verurteilte die Beklagte, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites arbeitsvertragsgemäß weiterzubeschäftigen. Dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers entsprach das Arbeitsgericht mit der Begründung, entgegenstehende überwiegende Interessen seien von der Beklagten nicht vorgebracht und insbesondere auch nicht, dass der Kläger den Freigängerstatus nicht erlange. Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde dem Kläger am 03.05.2004 und der Beklagten am 30.04.2004 zugestellt. Die Beklagte legte kein Rechtsmittel ein. Der Kläger beantragte am 18.12.2003 gegenüber der Justizvollzugsanstalt seine Zulassung zum Freigang. In § 11 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) in der vorliegend maßgebenden Fassung ist Folgendes bestimmt:

„(1) Als Lockerung des Vollzuges kann namentlich angeordnet werden, dass der Gefangene

  1. außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Freigang) nachgehen darf oder
  2. für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Ausgang) verlassen darf.

(2) Diese Lockerungen dürfen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde.”

Auf seinen Antrag hin wurde ihm von der Justizvollzugsanstalt ein Merkblatt mit folgendem Inhalt überlassen:

„Nachfolgend aufgeführte Unterlagen sind von Selbststellern zur Bearbeitung ihres Antrags auf Zulassung zum Sofortfreigang erforderlich und vorzulegen:

  • Arbeitsvertrag
  • Zustimmung...

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