Er kann - so das LAG Berlin-Brandenburg in einem Urteil vom 2.3.2022 (Az. 4 Sa 644/21) - aber nicht ohne Konkretisierung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung unmittelbar über den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers disponieren.
Der Fall: Arbeitgeber schafft weitgehende Corona-Schutzregeln
Zur Überprüfung und Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung im Hinblick auf erforderliche Maßnahmen des betrieblichen Infektionsschutzes stellte die beklagte Arbeitgeberin ein Corona-Konzept auf und aktualisierte dieses fortlaufend. Dazu war bei der Muttergesellschaft der Beklagten eine Corona-Taskforce eingerichtet, an welcher der Gesamtbetriebsrat mitwirkt. Die Taskforce erstellte für alle Unternehmen des Konzerns ein Hygienekonzept, das in allen Unternehmen entsprechend umgesetzt wurde. Der Betriebsrat des Werks Berlin wurde über die Änderungen der Gefährdungsbeurteilung unterrichtet.
Die Beklagte richtete an ihre Mitarbeiter eine Mitarbeiterinformation vom 17.6.2020, nach der diese u.a. aufgefordert wurden, in bestimmte vom RKI benannte Länder keine Urlaubsreisen zu unternehmen. Anderenfalls müssten diese nach der Rückkehr „14 Tage zuhause bleiben“ und würden ihren Anspruch auf Lohnfortzahlung verlieren. Der klagende Arbeitnehmer fuhr trotzdem in eines der Länder, um seinen kranken Bruder zu besuchen. Er hielt sich dabei an alle Test- und Kontrollvorgaben, die seitens des RKI benannt wurden, insbesondere auch nach seiner Rückkehr.
Der davon informierte Arbeitgeber verweigerte dem Kläger daraufhin den Zutritt in den Betrieb und weigerte sich, für den maßgeblichen Zeitraum Gehaltszahlungen vorzunehmen. Der Kläger bot seine Arbeitsleistung unter Vorlage aller Testergebnisse an. Nun klagt er auf die Zahlung von Annahmeverzugslohn.
LAG: Der Arbeitgeber befand sich im Annahmeverzug
Wie bereits das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 03.03.2021, Az. 39 Ca 13047/20) stellte auch das LAG Berlin-Brandenburg fest, dass der Lohnfortzahlungsanspruch für den streitigen Zeitraum bestünde, weil sich der Arbeitgeber im sog. Annahmeverzug (§ 615 BGB) befand.
Dazu ist erforderlich, dass der leistungswillige und -bereite Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung wie geschuldet anbietet (§ 297 BGB) und der Arbeitgeber diese ohne triftigen Grund ablehnte. Die Leistungswilligkeit lag vor, die Leistungsbereitschaft war insbesondere nicht dadurch eingeschränkt, dass der Arbeitnehmer corona-bedingt nicht arbeiten konnte. Seine Testergebnisse waren einwandfrei.
Der „triftige Grund“, den der Arbeitgeber hier geltend macht, ist der Verstoß gegen die Mitarbeiterinformation vom 17.6.2020. Diese sah das LAG jedoch nicht als ausreichend an: Der Arbeitgeber könne zwar regeln, wie der Arbeitnehmer in Pandemiezeiten seine Arbeit zu erbringen habe (z.B. Verwendung von Schutzmasken, Vorlage von Testergebnissen, Einhaltung sonstiger Hygiene-Maßnahmen) und die Arbeitsleistung ablehnen, wenn diese nicht akzeptiert würden. Hier regele aber der Arbeitgeber nicht den Inhalt der Arbeitsleistung, sondern einseitig einen Verlust des Entgeltanspruchs. Dies sei vom arbeitgeberischen Direktionsrecht des § 106 GewO jedoch nicht gedeckt.
Auch eine Betriebsvereinbarung nach § 77 BetrVG, die möglicherweise eine entsprechende Regelung hätte treffen können (das LAG lässt diese Frage offen!), liege hier nicht vor. Der Betriebsrat sei nur informiert, nicht aber einbezogen worden.
Wichtig für die Praxis
Zunehmend beschäftigen sich nun die Arbeitsgerichte mit Fragen, die auf die Umsetzung betrieblicher Hygienekonzepte zurückzuführen sind - mit so manchem bösen Erwachen für die Arbeitgeber, die zu Pandemiehochzeiten mit möglichst weit gehenden Maßnahmen einen möglichst umfangreichen Schutz erreichen wollten. Dass alle diese Maßnahmen aber nicht die tragenden Grundsätze des Arbeitsrechts (hier die unzulässige einseitige Suspendierung der Lohnzahlungspflicht durch den Arbeitgeber) aushebeln konnten, wird nun immer deutlicher.
Gerade im Hinblick auf die unklaren Vorzeichen des Pandemieherbstes 2022 sollten Arbeitgeber bei der Umsetzung dann eventuell erforderlicher Maßnahmen diese auf alle Fälle auf ihre grundsätzliche gesetzliche Rechtfertigung prüfen.