Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücktritt vom Prozessvergleich und Entschädigung bei nicht vertragsgemäßer Beschäftigung. Anfechtung eines Vergleichs. Wiedereinstellungsanspruch. Persönlichkeitsrechtsverletzung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Tritt eine Partei wirksam von einem Prozessvergleich zurück, ist das Verfahren zumindest im Arbeitsgerichtsprozess in dem Stadium fortzusetzen, in dem es sich vor Abschluss des Prozessvergleichs befand (im Anschluss an BAG, Urteil vom 05.08.1982, 2 AZR 199/80; Urteil vom 28.03.1985, 2 AZR 92/84 – Rdnrn. 54 ff.).

2. Ein Prozessvergleich, durch den ein Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgehoben wird, enthält keinen stillschweigenden Verzicht auf das gesetzliche Rücktrittsrecht (entgegen LAG Köln, Urteil vom 05.01.1996, 4 Sa 909/94 – Rdnrn. 59 ff.).

3. Tritt der Arbeitnehmer wirksam von einem Prozessvergleich zurück, durch den das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden sollte, begründet das entstehende Rückabwicklungsverhältis nicht nur einen Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers. Es verpflichtet den Arbeitgeber darüber hinaus, auf die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB). Hieraus erwächst die unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer auf der Basis der bisherigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Im Streitfall kann der Arbeitnehmer eine Beschäftigungsklage erheben (Rdnrn. 73 f.).

4. Die nicht vertragsgemäße Beschäftigung des Arbeitnehmers stellt zwar regelmäßig eine Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. Eine solche Persönlichkeitsrechtsverletzung begründet aber nicht regelmäßig einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 823 Abs. 1 BGB i. V. mit Art. 1 und 2 Abs. 1 GG. Es ist vielmehr im Einzelfall zu prüfen, ob es sich bei der nicht vertragsgemäßen Beschäftigung um einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht handelt, der nicht anders als durch eine Entschädigung ausgeglichen werden kann. Dabei ist die gesetzliche Wertung des § 2 KSchG zu beachten (Rdnrn. 89 ff., 94).

5. Es stellt regelmäßig einen schwerwiegenden und daher entschädigungspflichtigen Eingriff in das Persönlichenkeitsrecht des Arbeitnehmers dar, wenn der Arbeitgeber in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis eine Klage des Arbeitnehmers mit dessen Freistellung von den Arbeitspflichten beanwortet (Rdnr. 99).

 

Normenkette

BGB §§ 123, 241, 823; GG Art. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Karlsruhe (Urteil vom 13.03.2008; Aktenzeichen 8 Ca 334/07)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 13.03.2008 (8 Ca 334/07) wird als unzulässig verworfen.

2. Auf die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 13.03.2008 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als medical advisor drug safety (Medizinischen Berater für Arzneimittelsicherheit) mit dem Informationsmanagement eingehender nationaler oder internationaler Berichte unerwünschter Ereignisse bzw. unerwünschter Arzneimittelwirkungen zu beschäftigen.
  2. Kommt die Beklagte der Beschäftigungspflicht gemäß a) nach Ablauf eines Monats nach Zustellung des vollständig abgefassten Urteils nicht nach, wird sie verurteilt, dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 485,50 Euro je Monat zu zahlen, in dem sie der Beschäftigungspflicht nicht nachkommt, und zwar bis zu einer Gesamtsumme von 20.000,– Euro.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 4.500,– Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 04.07.2008 zu zahlen.
  4. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.
  5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Im Übrigen werden die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Klage bezüglich der Schmerzensgeldforderung bezogen auf den Zeitraum 04.06. bis 22.10.2008 wird als unzulässig abgewiesen.

4. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

5. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihn als medical advisor drug safety (medizinischen Berater für die Medikamentensicherheit) mit bestimmten Aufgaben zu beschäftigen. Außerdem fordert er von der Beklagten wegen nicht vertragsgemäßer Beschäftigung bzw. Nichtbeschäftigung im Zeitraum 01.09.2004 bis 03.06.2008 sowie wegen gesundheitsschädigender Abmahnungen im Zeitraum 04.06. bis 22.10.2008 ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 20.000,– Eur.

Im Rahmen des Berufungsverfahrens haben die Parteien am 22.10.2008 einen Prozessvergleich abgeschlossen, der mit Ablauf der Widerrufsfrist am 06.11.2008 bestandskräftig wurde (Bl. 185 f. der Akte). Mit dem Prozessvergleich vereinbarten die Parteien u.a. die Beendigung des gemeinsamen Arbeitsverhältnisses zum 31.07.2009. Der Kläger erklärte mit Schreiben an die Beklagte vom 30.07.2009, das er von dem Prozessvergleich wegen teilweiser Nichterfüllung durch die Beklagte zurücktrete. Gleichzeitig wies er...

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