Leitsatz (amtlich)
Die Normierung des Sorgerechts in § 10 Ziff. 4 lit. b MTV für das Private Versicherungsgewerbe stellt keine (mittelbare) Diskriminierung des nichtehelichen Kindes dar. Jedenfalls ist das Sorgerecht ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung der unterhaltsberechtigten Kinder
Normenkette
ErbStG § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. D; GG Art. 3 Abs. 1; MTV für das Private Versicherungsgewerbe i.d.F. vom 01.07.1996 § 10 Ziff. 4 lit. b
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 21.02.2001; Aktenzeichen 24 Ca 8964/00) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 21.02.2001 (Az.: 24 Ca 8964/00) wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung von Hinterbliebenenbezügen für die Monate April, Mai und Juni 2000 in Höhe von 9.168,– DM.
Die am 20.10.1995 geborene Klägerin ist ein nichteheliches Kind des ehemaligen Arbeitnehmers der Beklagten, … der seit dem 01.07.1973 bei der Beklagten beschäftigt gewesen und am 07.04.2000 verstorben ist. Der Verstorbene hatte in den letzten 12 Monaten bei der Beklagten ein durchschnittliches ruhegeldfähiges Einkommen in Höhe von 6.112,– DM. Die Klägerin lebte im Haushalt ihrer Mutter und besuchte ihren Vater regelmäßig, der jedoch kein Sorgerecht für die Klägerin hatte. Neben der Klägerin hinterließ der Verstorbene einen behinderten Sohn … aus einer am 21.01.1993 geschiedenen Ehe, der bei Pflegeeltern wohnt. Im Scheidungsurteil wurde das Sorgerecht für … beiden Elternteilen gemeinsam zugesprochen.
Auf das Arbeitsverhältnis des Verstorbenen mit der Beklagten fand der Manteltarif vertrag für das Private Versicherungsgewerbe (im Folgenden: MTV) Anwendung. § 10 Ziff. 4 MTV, der die Hinterbliebenenbezüge regelt, hat für den maßgeblichen Zeitraum folgenden Wortlaut:
Die Hinterbliebenen einer/eines Angestellten erhalten die bisherigen Bezüge für den Rest des Sterbemonats und für weitere drei Monate, im ersten Jahr der Unternehmenszugehörigkeit für einen weiteren Monat über den Sterbemonat hinaus. Als Hinterbliebene im Sinne dieser Bestimmungen gelten:
- der Ehegatte;
- unterhaltsberechtigte Kinder, die mit der/dem Verstorbenen in einem Haushalt lebten oder für die diese/dieser das Sorgerecht hatte; dies gilt nur, sofern ein Bezugsberechtigter nach a) nicht vorhanden ist;
- Kinder, Eltern und Geschwister, wenn sie nachweislich von der/dem Verstorbenen unterhalten wurden und Bezugsberechtigte nach Buchstabe a) und b) nicht vorhanden sind. Der Nachweis zur Erfüllung der Unterhaltspflicht durch die/den Verstorbenen ist durch Vorlage der steuerlichen Anerkennung oder in anderer Form zu führen.
Die Beklagte bezahlte die vollen Hinterbliebenenbezüge an den Sohn des Verstorbenen unter Hinweis auf § 10 Ziff. 4 lit. b und das bestehende Sorgerecht des Verstorbenen.
Das Arbeitsgericht hat mit dem am 21.02.2001 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass selbst wenn die Bestimmung des § 10 Ziff. 4 lit. b MTV verfassungswidrig wäre, vorliegend kein Anspruch gegeben sei. Die tarifliche Regelung wäre dann nichtig, was zu einer Regelungslücke führe. Die Rechtsprechung könne diese Tariflücke nicht schließen, da die Tarifvertragspartejen verschiedene Regelungsmöglichkeiten hätten. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf Seite 5-6 des angefochtenen Urteils (Bl. 64 und 65 der erstinstanzlichen Akte) verwiesen.
Gegen dieses der Klägerin am 16.03.2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 27.03.2001 von der Klägerin eingelegte und am 09.04.2001 ausgeführte Berufung.
Zur Begründung trägt die Klägerin vor, dass § 10 Nr. 4 MTV verfassungswidrig sei. Artikel 6 Abs. 5 Grundgesetz beinhalte das Gebot voller materieller Gleichstellung des nichtehelichen mit dem ehelichen Kind. § 10 Ziff. 4 lit. b MTV verstoße gegen dieses Gleichbehandlungsgebot, da er an ein Sorgerecht des Verstorbenen anknüpfe. Im Gegensatz zum ehelichen Kind, bei dem in der Regel (auch bei Scheidung) das Sorgerecht von beiden Elternteilen wahrgenommen werde, liege das Sorgerecht für das nichteheliche Kind in der Regel bei der Mutter (§ 1626 a Abs. 2 BGB). Beim Tod des Vaters werde deshalb das nichteheliche Kind benachteiligt. Das Bestehen eines Sorgerechts sei deshalb kein sachgemäßer Anknüpfungspunkt. Entscheidende Voraussetzung könne nur die Unterhaltsverpflichtung des Verstorbenen sein, da Sinn und Zweck der Hinterbliebenenbezüge sei, die unterhaltsberechtigten Angehörigen nach dem Tod des Arbeitnehmers für eine befristete Zeit weiter zu versorgen. Die verfassungswidrige Bestimmung des § 10 Ziff. 4 lit. b MTV müsse deshalb verfassungskonform ausgelegt werden. Der sachfremde Anknüpfungspunkt des Sorgerechts dürfe nicht berücksichtigt werden. Danach stehe die Klägerin auf der selben Stufe wie das eheliche Kind des Verstorbenen. Sie habe demgemäß einen Anspruch auf die Hälfte der Hinterbliebenenbezüge. Wegen des weiter...