Entscheidungsstichwort (Thema)
Klageverzicht in Allgemeine Geschäftsbedingungen. Inhaltskontrolle. Kompensatorische Gegenleistung. Verdachtskündigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Unangemessen ist die Benachteiligung gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Eine formularmäßige Verzichtserklärung bezogen auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage ohne kompensatorische Gegenleistung stellt deshalb in der Regel eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB dar und ist deshalb unwirksam.
2. Von einer kompensatorischen Gegenleistung könnte nur dann auszugehen sein, wenn eine Gegenleistung vor der Unterzeichnung des Klageverzichtsvertrages versprochen worden wäre. Es bleibt unentschieden, ob der Verzicht auf die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen eine derartige Gegenleistung sein kann.
3. Geht ein Arbeitgeber von der jeweiligen Alleintäterschaft eines Arbeitnehmers aus und besteht gegenüber drei Arbeitnehmern ein Tatverdacht, so besteht gegen jeden einzelnen Arbeitnehmer ein Verdachtsgrad von 33,3%. Ein Verdachtsgrad in dieser Höhe ist weder stark, schwerwiegend noch dringend und rechtfertigt keine außerordentliche Verdachtskündigung.
Normenkette
BGB §§ 307, 305 Abs. 1 S. 1, § 626
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 21.06.2005; Aktenzeichen 8 Ca 263/04) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart – Kammern Aalen – vom21.06.2005 (Az.: 8 Ca 263/04) abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 16.04.2004 und 19.04.2004 nicht aufgelöst worden ist.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von der Beklagten mit Schreiben vom 16.04.2004 ausgesprochenen außerordentlichen und mit Schreiben vom 19.04.2004 vorsorglich ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien.
Die am 13.07.1967 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Klägerin ist seit dem 05.01.1998 bei der Beklagten, einem Drogeriemarktunternehmen, als Verkäuferin/Kassiererin beschäftigt. Aufgrund des letzten Anstellungsvertrages vom 04.09.2003 arbeitet die Klägerin in der Verkaufsstelle D. in Teilzeit mit 10 Wochenstunden zu einer Vergütung von monatlich 456,00 EUR brutto.
Am 16.04.2004 wurde bei der Beklagten festgestellt, dass die Tageseinnahmen der Verkaufsstelle D. vom 14.04. und 15.04.2004 in Höhe von insgesamt 4.375,00 EUR, die in einem Tresor aufzubewahren waren, verschwunden waren. Der genaue Zeitpunkt der Entnahme der beiden Tageseinnahmen konnte von der Beklagten nicht ermittelt werden. In dem Zeitraum 14.04. bis 16.04.2004 hatten (jedenfalls) drei Mitarbeiterinnen in der Verkaufsstelle D., darunter auch die Klägerin, abwechselnd für eine bestimmte Zeit den Tresorschlüssel in Besitz. Die Klägerin hatte den Tresorschlüssel vom Abend des 15.04.2004 bis zum 16.04.2004 um 08.45 Uhr bei sich. Da nach einer mehrstündigen Befragung aller drei Mitarbeiterinnen der Verkaufsstelle D. die Beklagte den genauen Tathergang nicht klären konnte, bestand für die Beklagte ein Verdacht gegenüber allen drei Mitarbeiterinnen. Deshalb sprach die Beklagte am 16.04.2004 gegenüber allen drei Mitarbeiterinnen fristlose Kündigungen aus.
Im Rahmen der Befragung u. a. der Klägerin am 16.04.2004 und des Entschlusses, das bestehende Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen, benutzte die Beklagte, vertreten durch die kündigungsberechtigte und stellvertretende Verkaufsleiterin Frau K. und die Bezirksleiterin Frau F., ein Formularblatt. Dieser Vordruck „S. /Fristlose Kündigung/V55 03/95”, den die Beklagte seit längerer Zeit verwendet, sieht folgendermaßen aus:
Dieses Formular füllte Frau K. am 16.04.2004 handschriftlich mit den Personalien der Klägerin, der Kündigungsbegründung und dem Datum aus und unterschrieb das Formular in der untersten Zeile „Unterschrift VL/BL”. Dann übergab Frau K, die Kündigungserklärung der Klägerin, die in der Zeile „Unterschrift Mitarbeiter” unterschrieb. Am Abend des 16.04.2004 erstattete die Beklagte u. a. gegen die Klägerin Strafanzeige. Mit Schreiben vom 29.04.2004 verlangte die Beklagte von der Klägerin die Zahlung einer Vertragsstrafe gemäß dem Anstellungsvertrag in Höhe eines Bruttomonatsgehalts. Im Betrieb, zu dem die Verkaufsstelle D. gehört, besteht kein Betriebsrat.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Kündigungen unwirksam seien. Sie habe die Tageseinnahmen der Beklagten nicht entwendet. Es bestehe auch kein begründeter Verdacht gegen sie. Sie habe den Klageverzicht am 16.04.2004 nach extremer Druckausübung auf sie unterzeichnet. Die Klägerin hat diese Erklärung gemäß § 123 BGB angefochten und gemäß § 312 BGB wid...