Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässiges Urteil durch Entscheidung nach Lage der Akten bei fehlendem Klageantrag. Keine Zurückverweisung des Rechtsstreits wegen Verfahrensmängeln
Leitsatz (amtlich)
Der Erlass eines Urteils nach Aktenlage ist unzulässig, wenn der mündlichen Verhandlung, in der die klägerische Partei säumig war, lediglich ein Gütetermin vorausgegangen ist, in dem keine Sachanträge gestellt wurden. In einer unzulässigen Entscheidung nach Lage der Akten liegt kein Verfahrensmangel, der nicht in zweiter Instanz behebbar wäre, so dass eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht regelmäßig nicht in Betracht kommt.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin zur Güteverhandlung ohne Antragstellung ist keine mündliche Verhandlung i.S.d. § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO. Denn nach §§ 137 Abs. 1, 297 ZPO beginnt die mündliche Verhandlung grundsätzlich mit dem Stellen der Anträge. Dies ist erforderlich, damit der Prozessgegenstand durch die konkrete Antragstellung bestimmt wird.
2. Gem. § 68 ArbGG ist die Zurückverweisung wegen eines Verfahrensmangels im Arbeitsgerichtsverfahren unzulässig. Die Vorschrift dient der Prozessbeschleunigung. Sie gilt auch bei schweren Verfahrensmängeln.
Normenkette
ZPO §§ 331a, 251a; ArbGG § 68; ZPO § 137 Abs. 1, § 297; ArbGG § 54 Abs. 1 S. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 03.11.2020; Aktenzeichen 6 Ca 4304/20) |
Tenor
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 3. November 2020 - Az: 6 Ca 4304/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes.
Die im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung 56 Jahre alte, verheiratete Klägerin war seit 1. Februar 2000 auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 5. Januar 2000 (Bl. 4 bis 7 ArbG-Akte) bei der Beklagten als kaufmännische Sachbearbeiterin beschäftigt. Das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt der Klägerin betrug 2019 6.901,00 Euro.
Die Beklagte beschäftigte regelmäßig weniger als fünf Arbeitnehmer. Außer der Klägerin wurde noch Frau M. auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 26. Juli 2017 (Bl. 98 bis 101 LAG-Akte) in Teilzeit mit 20 Wochenstunden als Sekretärin zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 1.500,00 Euro beschäftigt. Ihr Aufgabenbereich umfasste insbesondere Verwaltungs- und Schreibtätigkeiten. Ihr Arbeitsvertrag war zunächst befristet bis 25. Juli 2018 und wurde am 22 Juni 2020 erneut bis zum 31. Dezember 2020 verlängert. Frau M. war zum Kündigungszeitpunkt 69 Jahre alt und bezog eine gesetzliche Altersrente. Daneben half die Enkelin des Geschäftsführers der Beklagten T. im August 2020 als geringfügig Beschäftigte bei der Aktenentsorgung.
Die Beklagte beschloss, den Betrieb zum Jahresende einzustellen. Mit Schreiben vom 24. Juni 2020 (Bl. 8 ArbG-Akte), der Klägerin am selben Tage zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2020, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.
Im Handelsregister gab es zum 1. Januar 2021 keine Änderung der Geschäftsführung. Die Beklagte wickelte noch nach dem 31. Dezember 2020 anhängige Rechtsstreitigkeiten und Mängelbeseitigungsmaßnahmen zur Erfüllung von Gewährleistungspflichten ab. Die sehr hohe Anzahl an Rechtsfällen und Gewährleistungsverpflichtungen bis Ende 2023 waren bereits im Januar 2020 bekannt. Frau M. wurde über den 31. Dezember 2020 hinaus von der Beklagten noch für die anfallende Korrespondenz hierzu (Schreibarbeit vom Band) beschäftigt. Die Bearbeitung und Vertretung vor Gericht übernahm der Geschäftsführer der Beklagten.
Mit außergerichtlichem Schreiben vom 26. August 2020 (Bl. 29 bis 30 LAG-Akte) forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr eine Auskunft nach Art. 15. DS-GVO zu erteilen. Mit Schreiben vom 23. September 2020 (Bl. 31 bis 83 LAG-Akte) erteilte die Beklagte eine Auskunft, die unstreitig den Auskunftsanspruch der Klägerin für die Jahre 2019 und 2020 erfüllte.
Mit Schreiben vom 3. Februar 2021 erteilte die Beklagte der Klägerin ein auf den 29. Januar 2021 datiertes Zeugnis.
Die Klägerin meinte erstinstanzlich, die gesetzliche Kündigungsfrist sei nicht eingehalten, zum anderen sei es auch im Kleinbetrieb Arbeitgebern nicht gestattet, willkürliche Kündigungen auszusprechen. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte nicht das geforderte Maß an sozialer Rücksichtnahme gewahrt habe.
Die Klägerin hatte in der Klageschrift folgende Anträge angekündigt:
- Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 24. Juni 2020 zum 30. September 2020 nicht aufgelöst worden ist.
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst wird, sondern fortbesteht.
- Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin über den 30. September 2020 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungssc...