Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterschrift unter Klageschrift mittels Paraphe. Heilung. Beglaubigung mittels Paraphe. keine Heilung. keine Rechtshängigkeit der Klage bei fehlerhafter Beglaubigung der zuzustellenden Abschrift der Klageschrift. Fehlende Rechtshängigkeit der Kündigungsschutzklage bei Zustellungsmangel aufgrund paraphiert beglaubigter Abschrift. Aufhebung eines wirkungslosen Urteils und Zurückverweisung des anhängigen Rechtsstreits an das Arbeitsgericht
Leitsatz (amtlich)
1) Eine nur mittels Paraphe unterzeichnete Kündigungsschutzklage ist unzulässig. Dieser Mangel kann jedoch gem. § 295 Abs. 1 ZPO durch rügelose Einlassung geheilt werden. Eine solche Heilung wirkt ex tunc und heilt somit zugleich eine verstrichene Klageerhebungsfrist gem. § 4 KSchG.
2) Aus einer fehlerhaften Beglaubigung der zugestellten Abschrift der Klageschrift muss der Beklagte nicht ableiten, dass auch die Klageschrift selbst an einem Mangel der Unterschrift leidet. Einen Kennenmüssen des Formmangels iSv. § 295 Abs. 1 ZPO kann hieraus nicht abgeleitet werden.
3) Der Beglaubigungsvermerk unter einer zuzustellenden beglaubigten Abschrift der Klageschrift muss ebenfalls mittels vollständigem Namenszug unterschrieben werden. Eine bloße Paraphe ist unzureichend. Wird eine solche mangelbehaftete Abschrift zugestellt, liegt ein Zustellungsmangel vor, der weder über § 189 ZPO, noch über § 295 Abs. 1 ZPO geheilt werden kann. Eine Rechtshängigkeit der Klage kann durch eine solche Zustellung nicht begründet werden.
Normenkette
ZPO § 130 Nr. 6, § 169 Abs. 2, §§ 189, 253 Abs. 1, 4, § 261 Abs. 1, § 295 Abs. 1-2; ArbGG § 68; KSchG § 4
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 04.07.2012; Aktenzeichen 14 Ca 6396/11) |
Tenor
1.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 04.07.2012 (14 Ca 6396/11) aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zum Zwecke einer ordnungsgemäßen Klagezustellung und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.
2.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Für den Kläger wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.
Der am 00.00.1964 geborene, verheiratete und nach eigenem Bekunden gegenüber drei Kindern (nach Lohnsteuerkarte jedoch nur gegenüber einem Kind) unterhaltsverpflichtete Kläger war bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt seit 02.07.1990 als Druckereihelfer.
Über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Esslingen vom 28.04.2011 (2 IN 56/11) das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte als Insolvenzverwalter bestellt. Im Betrieb der Insolvenzschuldnerin waren zuletzt 174 Mitarbeiter beschäftigt. Ein Betriebsrat ist in deren Betrieb in O. gebildet.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 22.07.2011, dem Kläger zugegangen am 23.07.2011, ordentlich zum 31.10.2011 aus betriebsbedingten Gründen. Die Kündigung wurde damit begründet, dass die Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nach dem Erwerberkonzept des Betriebserwerbers entfallen sei. Der Beklagte schloss mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich nebst anhängender Namensliste, auf welcher insgesamt 94 Namen zu kündigender Arbeitnehmer gelistet waren, ua. der Kläger.
Gegen diese Kündigung legte der Kläger über seine Prozessbevollmächtigte beim Arbeitsgericht Stuttgart am 05.08.2011 eine Kündigungsschutzklage ein, die jedoch von der Prozessbevollmächtigten lediglich mit den Anfangsbuchstaben ihres Vor- und Nachnamens "R. T." paraphiert unterzeichnet wurde, wobei der Anfangsbuchstabe "R" des Vornamens eher wie ein "B" aussieht. Dieser Klageschrift beigefügt war auch eine beglaubigte Abschrift. Diese Abschrift trägt lediglich einen aufgestempelten Vermerk "Beglaubigte Abschrift" und ist unter diesem Stempelaufdruck wiederum lediglich paraphiert unterzeichnet mit "R. T.". In der eigentlichen Unterschriftszeile der Abschrift der Klageschrift befindet sich keine Unterschrift. Diese "beglaubigte Abschrift" wurde dem Beklagten am 15.08.2011 vom Arbeitsgericht zugestellt.
Andere Schriftsätze der Klägervertreterin im Laufe des Verfahrens sind größtenteils mit ausgeschriebenem Nachnamen vollständig unterzeichnet, teilweise aber ebenfalls nur paraphiert unterzeichnet.
Der Kläger machte im Wesentlichen Fehler in der Sozialauswahl geltend.
Der Kläger beantragte:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 22.07.2011, zugegangen am 23.07.2011, nicht aufgelöst wurde und über den 31.10.2011 hinaus fortbesteht.
Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Er hielt seine Kündigung für sozial gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 04.07.2012 abgewiesen. Es führte zur Begründung aus, der Wegfall der bisherigen vertraglichen Beschäftigung sei unstreitig. Die Sozialauswahl könne nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden...