Entscheidungsstichwort (Thema)
Grenzen der Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist
Leitsatz (amtlich)
Dem Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs steht in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns eine Ausschlussfrist nicht entgegen. Weder die Abdingbarkeit des § 615 BGB noch die Anrechnungsvorschriften der §§ 615 S. 2 BGB, 11 Nr. 1 und Nr. 2 KSchG ändern daran etwas.
Normenkette
MiLoG § 3; BGB § 615 Sätze 1-2; KSchG § 11 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 04.05.2021; Aktenzeichen 7 Ca 194/19) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 04.05.2021 - 7 Ca 194/19 - wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Revision, die der Kläger trägt.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütung des Klägers wegen Annahmeverzugs in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns für den Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis 9. August 2017.
Wegen des erstinstanzlichen unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien einschließlich ihrer Rechtsansichten wird auf den nicht angegriffenen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Bezug genommen und verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 4. Mai 2021 den zuletzt gestellten Zahlungsanträgen des Klägers stattgegeben. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe unter B. Bezug genommen und verwiesen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 27. Juli 2021 zugestellte Urteil mit beim Berufungsgericht am 3. August 2021 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und sie mit beim Landesarbeitsgericht am 17. September 2021 eingegangenem Schriftsatz ausgeführt.
Sie rügt auf der Grundlage ihres Begründungsschriftsatzes vom 17. September 2021, der Gegenstand der Berufungsverhandlung war und auf den Bezug genommen und verwiesen wird, näher bestimmt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts insbesondere insoweit, als es den rechtskraftfähigen Inhalt des Anerkenntnis-Teilurteils des Arbeitsgerichts vom 24. August 2017 verkenne. Anders als bei Urteilen, die über einen Tatbestand und Entscheidungsgründe verfügten, sei bei einem Anerkenntnisurteil als nicht streitigem Urteil zur Bestimmung des rechtskraftfähigen Inhalts Parteivorbringen und Parteierklärungen, insbesondere der Umfang des von einer Seite im Verfahren erklärten Anerkenntnisses, heranzuziehen. Abzustellen sei daher insoweit vorliegend auf ihre als Anlage K 4 vorgelegte Erklärung vom 9. August 2017 gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers. Weiterhin sei auch die eigentliche Prozesserklärung gegenüber dem Arbeitsgericht im Verfahren 3 Ca 101/17 heranzuziehen. Der vom Arbeitsgericht gezogene Schluss, dass es wegen der rechtskräftig anerkannten unwirksamen fristlosen Kündigung vom 21. Juni 2017 auch keines Arbeitsangebots des Klägers für den streitgegenständlichen Lohnzahlungszeitraum zwischen 1. Juli 2017 und 9. August 2017 bedurft habe, sei deshalb falsch. Die Ansprüche seien auch verfallen. Das Mindestlohngesetz sei nicht anwendbar, da es nur den Arbeitslohn für "geleistete Arbeitsstunden" regele.
Das Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 18. November 2021 (7 Sa 56/21) die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 13. Juli 2022 (5 AZR 498/21) die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung mit der Begründung zurückverwiesen, auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen könne die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts nicht zurückgewiesen werden, weil die Leistungswilligkeit des Klägers aufzuklären sei und gegebenenfalls der Frage der Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 1 KSchG nachgegangen werden müsse. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils des Bundesarbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe unter II. 2. und 3. Bezug genommen und verwiesen.
Mit Verfügung des Vorsitzenden der Berufungskammer vom 17. Oktober 2022 erhielten die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu II. 2. und 3. der Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts.
Wegen des hierauf ergangenen Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze der Parteien jeweils vom 14. November 2022 Bezug genommen und verwiesen.
Die Beklagte beantragt:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 04.05.2021 (Az: 7 Ca 194/19) wird abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das erstinstanzliche Urteil auf der Grundlage seines Beantwortungsschriftsatzes vom 29. Oktober 2021, auf den sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 20. Dezember 2022 Bezug genommen und verwiesen wird.
Entscheidungsgründe
I.
Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte unter dem Gesichtspunkt...