Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütungsansprüche als Neumasseverbindlichkeit. Vergütungsansprüche bei fehlender Inanspruchnahme des Arbeitnehmers durch Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit. unbegründeter Feststellungsantrag des Arbeitnehmers bei Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts wegen rückständiger Vergütungsansprüche
Leitsatz (amtlich)
Vergütungsansprüche sind nicht als Neumasseverbindlichkeit zu berichtigen, wenn der Insolvenzverwalter einen Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung heranziehen möchte, dieser jedoch von einem Zurückbehaltungsrecht wegen rückständiger Vergütungsansprüche Gebrauch macht.
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO gelten die auf einem Dauerschuldverhältnis beruhenden Verbindlichkeiten als Neumasseverbindlichkeiten, soweit der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Gegenleistung für die Insolvenzmasse in Anspruch genommen hat; eine Inanspruchnahme liegt vor, wenn der Verwalter die Leistung des Vertragspartners nutzt, obwohl er das pflichtgemäß hätte verhindern können.
2. "Gegenleistung" ist die vom Arbeitnehmer nach § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeit; arbeitet der Arbeitnehmer nicht, liegt dann keine "Inanspruchnahme" im Sinne des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO vor, wenn der Arbeitnehmer, ob zu Recht oder zu Unrecht, ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht, etwa im Hinblick auf Vergütungsansprüche als Folge der Unwirksamkeit einer vom Insolvenzverwalter ausgesprochenen Kündigung.
Normenkette
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 2, § 209 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 27.05.2011; Aktenzeichen 4 Ca 502/10) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 27.05.2011, 4 Ca 502/10 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter des früheren Arbeitgebers des Klägers. Die Insolvenz wurde am 29.04.2009 eröffnet. Bereits am 27.04.2009 zeigte der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit an. Eine zunächst ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung vom 29.04.2009 zum 31.07.2009 wurde durch Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg (4 Ca 275/09) für unwirksam erklärt. Nach einer weiteren betriebsbedingten Kündigung vom 27.10.2009 zum 30.11.2009 einigten sich die Parteien im Rahmen eines Vergleichs im Rechtsstreit 1 Ca 180/09 vom 06.09.2010 auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2010.
Am 28.10.2009 forderte der Beklagte den Kläger auf, Arbeitsleistungen zu erbringen. Der Kläger kam dieser Aufforderung nicht nach, sondern machte mit Schreiben vom 29.10.2009 ein Zurückbehaltungsrecht wegen aufgelaufener Zahlungsrückstände seit Mai 2009 geltend. Die Masseunzulänglichkeit dauert nach wie vor an. Das Insolvenzverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Der Kläger hat mit der Klage geltend gemacht, dass ihm die Vergütungen für die Monate November 2009 bis April 2010 als Neumasseverbindlichkeit zustehe. Als Folge der Arbeitsaufforderung handele es sich um eine Neumasseverbindlichkeit, auch wenn die tatsächliche Arbeitsleistung durch die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts nicht aufgenommen worden ist.
Der Kläger hat folgenden Antrag gestellt:
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger folgende Neumasseverbindlichkeit gern. § 55 Abs. 1 Nr. 2 INSO i.V.m. § 209 Abs. 1 Nr. 3 INSO zu leisten:
- 3.300,78 € brutto abzgl. 1.399,50 € netto zzgl. Zinsen aus dem Restbetrag i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2009,
- 3.300,78 € brutto abzgl. 1.384,15 E netto zzgl. Zinsen aus dem Restbetrag i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2010,
- 3.300,78 € brutto abzgl. 1.250,20 € netto zzgl. Zinsen aus dem Restbetrag i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2010,
- 3.300,78 € brutto abzgl. 1.384,15 E netto zzgl. Zinsen aus dem Restbetrag i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2010,
- 3.300,78 brutto abzgl. 1.384,15 netto zzgl. Zinsen aus dem Restbetrag i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2010,
- 3.300,78 brutto abzgl. 1.399,50 netto zzgl. Zinsen aus dem Restbetrag i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2010
und stellte folgenden Hilfsantrag:
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger folgende Altmasseverbindlichkeit gern. § 55 Abs. 1 Nr. 2 INSO i.V.m. § 209 Abs. 1 Nr. 3 INSO zu leisten:
- 3.300,78 brutto abzgl. 1.399,50 netto zzgl. Zinsen aus dem Restbetrag i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2009,
- 3.300,78 € brutto abzgl. 1.384,15 netto zzgl. Zinsen aus dem Restbetrag i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2010,
- 3.300,78 € brutto abzgl. 1.250,20 netto zzgl. Zinsen aus dem Restbetrag i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2010,
- 3.300,78 brutto abzgl. 1.384,15 netto zzgl. Zinsen...