Verfahrensgang
ArbG Lörrach (Urteil vom 05.07.1988; Aktenzeichen 4 Ca 133/88) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach, Kammern Radolfzell, vom 05.07.1988 – 4 Ca 123/88 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte; die Kosten erster Instanz trägt die Klägerin.
3. Streitwert: unverändert.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt betriebliche Witwenrente von der Beklagten, in deren Diensten der Ehemann der Klägerin seit November 1975 als Koch stand, der sich am 10.05.1987 den Tod gab. Die Beklagte verweigert die Bezahlung der betrieblichen Witwenrente in unstreitiger Höhe von 331,79 DM unter Hinweis auf Ziffer VI 3 der Versorgungsordnung der Beklagten vom 03.04.1984 (Bl. 4 ff ≪10≫d. Akte) „Bei Freitod wird kein Anspruch auf Witwenrente erworben.”
Das Arbeitsgericht hat mit der dem Beklagten am 24.08.1988 zugestellten Urteil vom 05.07.1988, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, der Klage der Klägerin auf Zahlung einer monatlichen Witwenrente in Höhe von 331,79 DM seit Juni 1987 und für die Zukunft entsprochen, den Streitwert auf 11.944,44 DM festgesetzt und in den Entscheidungsgründen im wesentlichen ausgeführt, schon die Wortinterpretation lasse es kaum zu, unter dem Ausdruck Freitod jene Selbstötung zu subsumieren, bei der der aus dem Leben Scheidende wegen Krankheit sich entweder nicht entschließen konnte, die Selbsttötung zu unterlassen, oder aber nicht seinem Willen entsprechend handeln konnte, d.h., die Alternative, am Leben zu bleiben, gar nicht zur Verfügung gestanden habe. Solche Selbsttötung sei nicht freier, als wenn jemand anderes die Tötung vornehme. Sie sei nicht Freitod. Dieses Verständnis des Wortes Freitod entspreche auch dem Sinn der Ziff. VI 3 der Versorgungsordnung vom 03.04.1984. Der Anspruch werde deshalb bei Freitod ausgeschlossen, weil die Beklagte als Arbeitgeberin nicht ein Risiko in ihrer Versorgungsordnung habe aufnehmen wollen, über dessen Realisierung der Arbeitnehmer frei zu ihren Lasten verfügen könne. Der Leistungsausschluß bedeute somit eine Konkretisierung des § 162 BGB. Diese Erwägung passe nicht auf jenen, der unter dem Zwang einer Depression aus dem Leben trete.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer am 08.09.1988 eingelegten und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 05.10.1988 bis zum 07.11.1988 am 07.11.1988 begründeten Berufung.
Sie trägt vor und führt aus:
Das Arbeitsgericht habe den Begriff „Freitod” unzutreffend gewürdigt. Es sei im übrigen davon ausgegangen, daß bei dem Ehemann der Klägerin eine Depression vorgelegen habe, zum anderen, daß diese Depression die freie Willensentscheidung ausgeschlossen habe. Das Arbeitsgericht habe die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche wegen unsubstantiierten Sachvortrages zurückweisen müssen, nachdem die Beklagte sich streitig gestellt habe und innerhalb der mit Beschluß vom 28.04.1988 (Bl. 44 d. Akte), gesetzten Frist kein weiterer Vortrag unter Beweisantritt erfolgt sei.
Die Bezeichnung „Freitod” sei synonym mit dem Begriff „Suizid” und mit dem Begriff „Selbstmord”.
Die Beklagte verweist auf § 169 VVG und die dazu ergangene Rechtsprechung und trägt weiter vor:
Wenn das Arbeitsgericht ohne weiteres davon ausgehe, daß beim Ehemann der Klägerin eine Depression überhaupt vorgelegen habe und damit offenbar dem ärztlichen Attest des Dr. med. … vom 09.07.1987 (Bl. 92 d. Akte), das die Klägerin mit der Berufungsbeantwortung vorgelegt hat, folge, habe es nicht berücksichtigt, daß der dieses Attest ausgestellt habende Arzt lediglich Allgemeinmediziner sei und insoweit, ohne seine generelle fachliche Qualifikation in Frage stellen zu wollen, nicht kompetent sei, ein derart komplexes Krankheitsbild, wie es eine Depression darstelle, verlässlich beurteilen zu können.
Gerade die Tatsache, daß sich der Ehemann der Klägerin offensichtlich nicht in psychologischer oder psychiatrischer Betreuung befunden habe, spreche dafür, daß eine Depression, zumal eine so gravierende, wie dies von der Klägerin dargestellt werde, nicht vorgelegen habe.
Die Beklagte bestreitet „deswegen” das Vorhandensein einer entsprechenden Depression und beruft sich „unter ausdrücklicher Verwahrung gegen die Beweislast” auf die Einholung eines psychologischen/psychiatrischen Sachverständigen-Gutachtens.
Die Beweislast für das Vorliegen eines die freiwillige Willensbestimmung ausschließenden Zustandes liege, so die Beklagte weiter, bei der Klägerin. Bei seelischen Depressionen sei hierzu substantiierter Vortrag von Indiztatsachen erforderlich. Hierzu sei es nicht ausreichend, auf eine anamnestisch erhobene Vorgeschichte sowie den Abschiedsbrief Bezug zu nehmen, ohne diese Vorgeschichte näher zu erläutern. Aus dem ärztlichen Attest (Bl. 92 d. Akte) ergebe sich weder, wann der Ehemann der Klägerin zuletzt behandelt worden sei, insbesondere, wann die letzte Behandlung und wegen welcher Krankheit diese erfolgt sei. Ebensowenig sei substantiiert dargetan, inwiew...