Entscheidungsstichwort (Thema)
betrieblicher Altersversorgung (Witwenrente)
Leitsatz (amtlich)
1. Die Selbsttötung des Arbeitnehmers kann in einer – auf Betriebsvereinbarung beruhenden – Versorgungsordnung anders behandelt werden als sonstige Tatbestände, die die Betriebspartner in der Versorgungsordnung als Versorgungsfall anerkennen.
2. Im Einzelfall kann jedoch eine Selbsttötungs-Klausel, die den Anspruch auf Witwenrente vollständig ausschließt, einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle zugänglich sein.
Normenkette
BGB §§ 242, 315, 328; BetrVG § 77
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Urteil vom 28.11.1995; Aktenzeichen 5 Ca 296/95) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des ArbG Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau – vom 28.11.1995 – 5 Ca 296/95 L – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
- Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 30.04.1994 eine (– am 01.03.1994 erworbene –) Witwenrente in Höhe von 20 % der Bemessungsgrundlage (i.S. der Ziffer VIII. 1 der „Gemeinsamen Versorgungsordnung” der Firmen … und …) zu zahlen.
- Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Rechtsstreites werden der Klägerin zu 3/5 und der Beklagten zu 2/5 auferlegt.
IV.
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Witwe des am 21.05.1938 geborenen …; dieser schied am 01.03.1994 durch Selbsttötung aus dem Leben. … war seit September 1969 als Kraftfahrer bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Im Jahre 1994 führte eine ausgeprägte Polyneuropathie mit Fußheberparese (= mehrbereichliche Schädigung des Nervensystems mit Lähmung der Fußhebermuskeln) dazu, daß Z. die Ausübung einer LKW-Kraftfahrertätigkeit unmöglich wurde.
Am 28.05.1993 – nach ca. 1-monatiger stationärer Behandlung – war Z. (– nach den Angaben im ärztlichen Attest des Allgemeinarztes Dr. … vom 08.06.1995, Bl. 74 ff d.A. –) mit (neuer) antidepressiver medikamentöser Einstellung („Saroten ret. 50 mg”) aus der … entlassen worden. In der Zeit vom 03.08. bis zum 14.09.1993 unterzog sich während eines Heilverfahrens in der Fachklinik … einer psychiatrischen Behandlung; nebst Gesprächs- und Entspannungstherapien erfolgte ein erneuter (medikamentöser) Einstellungsversuch mit einem anderen Präparat („Aponal 75 mg”). In dem ärztlichen Attest vom 08.06.1995 (Bl. 75 ff d.A.) heißt es (weiter), daß das Heilverfahren bezüglich der – im Attest zuvor geschilderten – seelischen Erkrankung kaum Besserung gebracht habe. Am 29.11.1993 sei in ein immer stärkeres depressives Tief abgerutscht. Am 26.01.1994 – so die Angaben im zitierten Attest – setzte Dr. … bei – zusätzlich zu der von Dr. … (– Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie –) durchgeführten Einstellung mit Anti-Depressiva das Injektions-Antidepressivum „Imap” (wieder) an. Dr. … berichtet in dem Attest vom 08.06.1995 weiter, daß … wegen seiner seelischen Probleme am 04.02.1994 und am 07.02.1994 in seiner Sprechstunde gewesen sei und am 14.02.1994 dort letztmals die Injektion des Antidepressivums „Imap” erhalten habe.
In dem nervenfachärztlichen Attest des Dr. … vom 15.05.1995 (Bl. 78 d.A.) heißt es u.a., daß sich zum Zeitpunkt der Selbsttötung weiterhin in einer depressiven Phase befunden habe.
Im Zusammenhang mit dem seinerzeit beabsichtigten Rentenantrag … des haben Sich die Ärzte Dres. … und … mit den Attesten vom 20.01.1994 und vom 02.12.1993 zu dem damaligen Gesundheitszustand des geäußert. Auf den Inhalt dieser Atteste wird ebenso verwiesen wie auf den weiteren Inhalt der Atteste vom 08.06.1995 und vom 15.05.1995; die vier ärztlichen Stellungnahmen bzw. Atteste sind im Termin vom 18.06.1996 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden (s. Bl. 98 d.A.).
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten aufgrund der „Gemeinsamen Versorgungsordnung der Firmen …” eine Witwenrente beanspruchen kann. Seit dem 01.01.1973 richtete sich die betriebliche Altersversorgung der Beklagten nach der damals in Kraft getretenen Versorgungsordnung (VO, s. Hülle Bl. 35 a d.A.: gelbe Broschüre „Unser Versorgungswerk”); dort war u.a. eine Freitod- und eine Härteklausel enthalten (s. dort Ziffern VII. 4. und XV. 1, VO). Am 30.09.1981 wurde durch Betriebsvereinbarung die neue „Gemeinsame Versorgungsordnung” geregelt (s. Hülle Bl. 35 a d.A.: weiße Broschüre); ausdrückliche Freitod-/Selbsttötungs- und Härteklauseln enthielt diese VO nicht; mit der Auslegung dieser VO befassen sich die in dem Verfahren – 5 Ca 412/85 = 3 Sa 744/86 – ergangen Urteile des ArbG Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau – und des LAG Rheinland-Pfalz. Schließlich wurde die VO durch die Betriebsvereinbarung vom 10.04.1990 (= ebenfalls in der Hülle Bl. 35 a d.A.) geändert. Dabei wurden unter D. die Ziffern VI. und VIII. der VO 1981 wie folgt ergänzt:
„Bei Selbsttötung wird kein Anspruch auf Witwen- bzw. Witwerrente erworben. Die Halbwaisenrente beträgt in diesem Fall jedoch 20 % der Bemessungsgrundlage”.
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