Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachteilsausgleich bei Betriebsstilllegung eines insolventen Konzernunternehmens in Eigenverwaltung. Beendigung der Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines beherrschten Unternehmens. Unbegründete Leistungsklagen wegen Kündigung von Arbeitsverhältnissen ohne Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Konzernbetriebsrat
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG in Verbindung mit § 113 Abs. 1 BetrVG kann ein Arbeitnehmer von der Unternehmerin die Zahlung einer Abfindung verlangen, wenn die Unternehmerin eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Beschäftigte entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden; gemäß § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG gilt als Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 1 BetrVG auch die Stilllegung des ganzen Betriebs.
2. Die Pflichten der §§ 111 ff. BetrVG richten sich an die Unternehmerin und setzen eine von ihr geplante Betriebsänderung voraus; Unternehmerin ist die Rechtsträgerin des Betriebs.
3. Auch in einem Konzern behält das einzelne Konzernunternehmen grundsätzlich seine rechtliche Selbständigkeit; bei einer das Unternehmen betreffenden Betriebsänderung ist dieses und nicht das herrschende oder ein anderes konzernangehöriges Unternehmen zur Beteiligung des Betriebsrats nach § 111 BetrVG verpflichtet und damit Schuldner des Nachteilsausgleichs im Sinne des § 113 BetrVG.
4. Eine originäre Zuständigkeit des Konzernbetriebsrates setzt nach § 58 Abs. 1 BetrVG voraus, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die entweder den Konzern oder zumindest mehrere Konzernunternehmen betrifft und die nicht durch einzelne Gesamtbetriebsräte oder Betriebsräte geregelt werden kann.
5. Auch im Rahmen des Mitbestimmungsrechtes bei Betriebsänderungen nach den §§ 111 ff. BetrVG kommt eine Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats in Betracht, wenn die geplante Betriebsänderung Betriebe verschiedener Unternehmen betrifft und eine konzerneinheitliche Lösung zwingend geboten ist; Voraussetzung der Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats ist dabei jedoch zwingend die Leitungsmacht der Konzernmutter.
6. Für die Errichtung und das Bestehen eines Konzernbetriebsrats bedarf es der Existenz eines Unterordnungskonzerns; besteht der Unterordnungskonzern nicht mehr, entfallen auch die Voraussetzungen für die Errichtung eines Konzernbetriebsrats für diesen Konzern, so dass die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats für Unternehmen endet, die aus dem Konzernverbund ausscheiden.
7. In einem mehrstufig gegliederten Unternehmen endet die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats (auch bei Anordnung der Eigenverwaltung und Sachwalterbestellung) mit der Insolvenzeröffnung über ein beherrschtes Unternehmen; ein Verstoß im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG wegen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen ohne Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Konzernbetriebsrat scheidet mangels Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats aus.
8. Werden die von der Unternehmerin mit dem örtlich zuständigen Betriebsrat geführten Interessenausgleichsverhandlungen vom Vorsitzenden der hierfür gebildeten Einigungsstelle als gescheitert erklärt, und hat die Unternehmerin vor diesem Zeitpunkt noch keine unumkehrbaren Maßnahmen der Betriebsänderung getroffen, hat sie mit der Betriebsstilllegung im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG noch nicht begonnen.
Normenkette
BetrVG § 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 58 Abs. 1, § 111 Sätze 1, 3 Nr. 1, § 113 Abs. 1, 3; InsO § 276a
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 21.11.2014; Aktenzeichen 10 Ca 33/14) |
Nachgehend
Tenor
- Auf die Berufung der Bekl. zu 1) wird das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg, Kammern Offenburg vom 21.11.2014, Az. 10 Ca 33/14 teilweise abgeändert, soweit es der Klage stattgegeben hat.
- Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
- Die Berufung d. Kläg. wird zurückgewiesen.
- D. Kläg. hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- Die Revision wird für d. Kläg. zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Nachteilsausgleichsansprüche gem. § 113 Abs. 3 BetrVG und Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer der Beklagten zu 1.
Die Klagpartei war bei der Beklagten zu 1 zuletzt zu einem durchschnittlichen monatlichen Bruttogehalt von 1879,18 € beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Kündigung der Beklagten zu 1 vom 02.01.2014 zum Ablauf des 31.03.2014. Die Beklagte zu 1 betrieb ein Unternehmen im Bereich von Call-Center-Dienstleistungen und beschäftigte zuletzt ca. 150 Mitarbeiter. Sie ist Teil der w. Gruppe und hundertprozentige Tochter der w. GmbH, diese wiederum der w. Holding GmbH, beide mit Sitz in E.. Die Beklagten zu 2 bis 6 waren im streiterheblichen Zeitraum die Geschäftsführer der Beklagten zu 1.
Neben der Beklagten zu 1 gibt es weitere Standort-(Tocht...