Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplanabfindung bei vorzeitiger Altersrente. Schwerbehinderung. Zulässigkeit geringerer Abfindungen in einem Sozialplan bei Möglichkeit der Inanspruchnahme von Altersrente nach dem Bezug von Arbeitslosengeld. Diskriminierung schwerbehinderter Arbeitnehmer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Sozialplan kann vorsehen, dass Arbeitnehmer, die nach dem Bezug von Arbeitslosengeld vorzeitig Altersrente in Anspruch nehmen können, geringere Abfindungen erhalten. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG ermöglicht solche Regelungen (im Anschluss an BAG, Urteil vom 26.05.2009, 1 AZR 198/08).

2. Auf die Höhe der indiviuell zu erwartenden Rentenleistungen kommt es dabei nicht an.

3. Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, der Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen hat und deshalb nach dem Sozialplan eine geringere Abfindung erhält, wird nicht wegen seiner Behinderung (mittelbar) benachteiligt. Er wird mit den Arbeitnehmern, die aus anderen Gründen Anspruch auf eine (vorgezogene) Altersrente haben, gleichbehandelt. Mit gleichaltrigen nicht behinderten Arbeitnehmern ohne Rentenanspruch ist er wegen der unterschiedlichen wirtschaftlichen Situation nicht vergleichbar.

 

Normenkette

AGG § 10 S. 3 Nr. 6

 

Verfahrensgang

ArbG Mannheim (Entscheidung vom 20.09.2010; Aktenzeichen 11 Ca 115/10)

 

Tenor

  • 1.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 20.09.2010 (11 Ca 115/10) wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

  • 2.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihm zusätzlich zu der bereits gezahlten Abfindung nach dem Sozialplan vom 09.11.2009 in Höhe von 23.820,-- Euro brutto weitere 89.794,17 Euro brutto zu zahlen.

Der Kläger wurde am 04.06.1951 geboren. Er hat einen Grad der Behinderung von 60. Zwischen den Parteien bestand vom 15.03.1980 bis zum 31.08.2010 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger war für die Beklagte zuletzt im Bereich Sammelbesteller im Außendienst tätig.

Ende 2009 entschied die Beklagte, den Sammelbesteller-Außendienst aufzugeben. Am 05.11.2009 schloss sie deshalb mit dem Gesamtbetriebsrat einen Sozialplan ab. Einen Tag zuvor hatten die Beklagte und der Gesamtbetriebsrat eine Protokollnotiz zum Sozialplan vereinbart (Anlage K 1 zur Klagschrift, Prozessakte des Arbeitsgerichts (im Folgenden: Arb), Bl. 11). Nr. 3.2 der Protokollnotiz lautet wie folgt:

"Die Parteien des o.g. Sozialplans vereinbaren verbindlich, dass das Abfindungsvolumen aus beiden Maßnahmen 6,8 Mio. EUR beträgt.

Sollte sich nach Abschluss des Interessenausgleichsverfahrens/Vereinbarung der Namensliste zur Umorganisation Sammel-/Einzelbesteller-Innendienst herausstellen, dass das Abfindungsvolumen von 6,8 Mio. EUR - unter Zugrundelegung der Abfindungsregelungen im o.g. Sozialplan - unterschritten würde, verpflichten sich die Parteien zu einer entsprechenden Anpassung des o.g. Sozialplans mit dem Ziel einer vollständigen Auskehrung des Sozialplanvolumens von 6,8 Mio. EUR an die Betroffenen.

Gleiches gilt, wenn ein nach derzeitigem Kenntnisstand der in § 3 des Sozialplans enthalten "Sonderregelung für rentennahe Arbeitnehmer" unterfallender Arbeitnehmer nach Vorlage seiner Rentenauskunft wieder aus dieser Regelung herausfällt und das Sozialplanvolumen von 6,8 Mio. EUR deshalb über-/unterschritten wird.

Im Falle der Nichteinigung entscheidet die Einigungsstelle."

Der Sozialplan vom 05.11.2009 enthält u.a. folgende Regelungen:

"§ 1

Zweck

1.1 Dieser Sozialplan regelt den Ausgleich bzw. die Milderung der Nachteile, die den Arbeitnehmern auf Grund der Maßnahmen entstehen, die Bestandteile des Interessenausgleichs "Schließung des Sammelbestellers-Außendienst (SB-AD)" vom heutigen Tage sind.

§ 2

Abfindung

2.1 Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis auf Grund der in § 1 dieses Sozialplans genannten Maßnahmen endet, sei dies infolge einer betriebsbedingten Kündigung oder einer betrieblich veranlassten Beendigungsvereinbarung, haben Anspruch auf eine Abfindung.

2.2 Die Abfindung berechnet sich nach folgender Formel:

(Bruttoentgelt x Betriebszugehörigkeitszeit x Lebensalter) dividiert durch 60"

(Das maßgebliche Bruttoentgelt wurde in 2.3 für die Bezirksleiter, zu denen auch der Kläger zählte, pauschal auf 3.650,-- EUR festgelegt.)

"§ 3

Sonderregelung für rentennahe Arbeitnehmer

3.1 Arbeitnehmer, die bei Ausschöpfung des gesetzlich höchstmöglichen Arbeitslosengeldanspruches nahtlos einen Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben, haben keinen Anspruch auf eine Abfindung nach § 3 dieses Sozialplans.

Auf die tatsächliche Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldanspruches kommt es insoweit nicht an.

...

3.2 Für Abschläge aus der gesetzlichen Rentenversicherung infolge eines vorzeitigen Bezuges von Altersruhegeld wird eine zusätzliche Abfindung in Höhe von 270 Euro brutto pro 0,1% Rentenminderung gezahlt. ...

§ 4

Sozialzuschläge

4.1 Schwerbehinderte Menschen und Gleichgestellte im Sinne des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) erhalten für den Grad der Behinderung bis ...

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