Entscheidungsstichwort (Thema)
Gutschrift von Arbeitszeiten nach AZTV-S für angefallene Arbeitszeit wegen Einhaltung der Ruhezeiten nach durchgeführter Rufbereitschaft
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Regelung des § 9 Abs. 5 AZTV-S umfasst nicht die Fälle der rechtlichen Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung.
2. § 615 S. 3 BGB findet im Rahmen des § 326 Abs. 2 S. 1 BGB keine Anwendung.
Normenkette
AZTV-S §§ 5, 9 Abs. 5; BGB § 615 S. 3, § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 2, § 326 Ab S. 1
Verfahrensgang
ArbG Ulm (Urteil vom 02.08.2006; Aktenzeichen 2 Ca 170/06) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Ulm vom02.08.2006 – 2 Ca 170/06 – wie folgt abgeändert:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
II. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger auf dessen Arbeitszeitkonto für den 11.07.2005 7,5 Stunden gutzuschreiben.
Der Kläger ist seit 1987 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängern als Facharbeiter mit einer jährlichen Arbeitszeit von 2.036 Stunden und einem Monatsbruttolohn von ca. 2.000,– EUR beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die tarifvertraglichen Bestimmungen zwischen der Gewerkschaft T. und den Betrieben der D. Anwendung, u.a. der Tarifvertrag zur Regelung der Jahresarbeitszeit für die Arbeitnehmer der D. (im Folgenden: JazTV, Blatt 57 ff. der erstinstanzlichen Akte) und der Arbeitszeittarifvertrag für die Arbeitnehmer von Schienenverkehrs- und Schieneninfrastrukturunternehmen des AgvMoVe (im folgenden: AZTV-S, Blatt 75 ff. der erstinstanzlichen Akte). Im AZTV-S finden sich u.a. folgende Regelungen:
„§ 5 Arbeitszeitkonto
(1) Für den Arbeitnehmer wird ein Arbeitszeitkonto geführt, in dem die geleisteten Zeiten und die nach den tarifvertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen zu verrechnenden bzw. anzurechnenden Zeiten fortlaufend erfasst werden. Das Arbeitszeitkonto dient auch als arbeitszeitrechtliche Grundlage für das Entgelt.
…
§ 9 Arbeitszeitverteilung
….
(5) Fällt Arbeit aus, ist der Arbeitnehmer spätestens am Vortag hierüber zu informieren. Der Arbeitgeber kann verlangen, dass die ausgefallene Arbeitszeit nachgeholt wird.
…
(8) Bei Arbeitsversäumnis wegen der vorübergehenden Unmöglichkeit der Arbeitsleistung (z.B. Mangel an Roh- und Betriebsstoffen, Stromabschaltungen, Naturkatastrophen am Wohn- oder Arbeitsort oder auf dem Wege zum Arbeitsplatz) erhält der Arbeitnehmer für jeweils bis zu fünf aufeinander folgende Tage Entgelt für jeweils 1/261 des individuellen regelmäßigen Jahresarbeitszeit-Solls nach §§ 2 und 3 je Tag ohne Anrechnung von Arbeitszeit fortgezahlt.”
Für die Einteilung der Rufbereitschaft werden bei der Beklagten Bereitschaftspläne aufgestellt, die den Mitarbeitern im voraus bekannt sind und vom Betriebsrat die Zustimmung nach § 87 BetrVG erhalten haben.
Am Sonntag, den 10.07.2005 war der Kläger im Rahmen der Rufbereitschaft zu einem Entstörungseinsatz gerufen worden. Dieser dauerte von 18.35 Uhr bis am 11.07.2005 um 5.15 Uhr. Der Kläger konnte aufgrund arbeitszeitrechtlicher Bestimmungen die zunächst von 6.15 Uhr bis 16.00 Uhr geplante Arbeitsleistung am 11.07.2005 nicht antreten. Die frühestmögliche Arbeitsaufnahme wäre 14.15 Uhr gewesen, eine Arbeitsaufnahme zu diesem Zeitpunkt wurde von der Beklagten nicht eingefordert, von dem Kläger nicht angeboten. Im Zeitraum von 6.15 Uhr bis 16.00 Uhr wäre eine halbe Stunde unbezahlte Pause enthalten. Für die Einschränkung der persönlichen Dispositionsfreiheit erhielt der Kläger für die Rufbereitschaftszeiten eine Zulage in Höhe von zuletzt EUR 1,76 pro Stunde. Während der im Rahmen der Bereitschaft anfallenden Arbeitszeit erhielt der Kläger die übliche Vergütung zuzüglich Nachtarbeitszulage. Die Arbeitszeit wurde auch auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers gutgeschrieben.
Der Kläger ist der Meinung gewesen, die Zeit am 11.07.2005 von 6.15 Uhr bis 16.00 Uhr sei als Arbeitszeit zu werten, da er nicht einen Tag vorher über den Ausfall informiert worden sei. Die Beklagte habe den Ausfall der geplanten Arbeitsleistung des Klägers zu vertreten. Aufgrund nicht unerheblicher Personaleinsparungen nehme sie billigend in Kauf, dass Beschäftigte während der Rufbereitschaft auch für Regeleinsätze verplant würden und somit geplante Arbeitszeiten ausfallen. Der Kläger habe seine Arbeitskraft ab 14.15 Uhr nicht anbieten müssen, da es der Beklagten möglich gewesen sei, den Kläger zur Arbeitsleistung aufzufordern.
Der Kläger hat beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, die für den Kläger ausgefallene Tagschicht vom 11.07.2005 in der Zeit von 6.15 Uhr – 16.00 Uhr auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers mit 9 Stunden und 15 Minuten gutzuschreiben.
Die Beklagte hat beantragt
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht gewesen, die Bewertung der Arbeitszeit könne nicht erfolgen. Es liege in der Natur der Rufbereitschaftsregelungen...