Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsrentenanpassung: Prüfungszeitraum für den Anpassungsbedarf und die Verdienstentwicklung bei den aktiven Arbeitnehmern (sog. realbezogene Obergrenze)
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Die Gerichte für Arbeitssachen haben in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 1 und 3 BGB zu überprüfen, ob der Arbeitgeber bei seiner Anpassungsentscheidung den ihm eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat.
2. Bei der Ermittlung des Kaufkraftverlustes ist auf die in der einschlägigen Fachpresse veröffentlichten Indexwerte der Monate abzustellen, die dem erstmaligen Rentenbezug und den jeweiligen Anpassungsstichtagen unmittelbar vorausgehen (§ 291 ZPO). Nach § 30c Abs. 4 BetrAVG gilt für die Erfüllung der Anpassungsprüfungspflicht für Zeiträume vor dem 01.01.2003 § 16 Abs. 2 Nr. 1 mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Verbraucherpreisindexes für Deutschland der Preisindex für die Lebenshaltung von Vier-Personen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen tritt. Danach ist für die Erfüllung der Anpassungsprüfungspflicht für Zeiträume vor dem 01.01.2003 auf den Preisindex für die Lebenshaltung von Vier-Personen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen abzustellen, für die Zeit danach auf den Verbraucherpreisindex für Deutschland.
Normenkette
BetrAVG §§ 16, 30c Abs. 4; BGB § 315
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 19.08.2009; Aktenzeichen 29 Ca 627/09) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 19.08.2009 – 29 Ca 627/09 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Urteilstenor unter Nrn. 1, 2 und 4 wie folgt neu gefasst wird.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger an rückständiger Betriebsrente für den Zeitraum Juli 2008 bis einschließlich Februar 2010 EUR 3 080,80 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils EUR 154,04 brutto seit dem Ersten eines jeden Folgemonats, beginnend ab dem 01.08.2008 bis einschließlich 01.09.2009, zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine monatliche Betriebsrente ab März 2010, fällig jeweils am Ersten des Folgemonats, in Höhe von EUR 2 394,20 brutto zu zahlen.
2. Der Kläger trägt 7 % und die Beklagte trägt 93 % der Kosten der ersten Instanz. Der Kläger trägt 4,5 % und die Beklagte trägt 95,5 % der Kosten der zweiten Instanz.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch darüber, in welchem Umfang die Betriebsrente des Klägers zum 01.07.2008 anzupassen ist.
Der Kläger war bei der Beklagten bis zum 31.12.1992 beschäftigt. Seit dem 01.01.1993 bezieht er eine jeweils mit Ablauf des Kalendermonats fällig werdende Betriebsrente, zunächst in Höhe von EUR 1 822,76 brutto. Ab dem 01.07.2005 beabsichtigte die Beklagte, dem Kläger auf der Grundlage ihrer Anpassungsentscheidung eine monatliche Betriebsrente in Höhe von EUR 2 110,62 brutto zu zahlen. Im Rahmen des hiergegen vom Kläger angestrengten Klageverfahrens einigten sich die Parteien im gerichtlichen Vergleich vom 14.11.2007 (Arbeitsgericht Stuttgart – 2 Ca 3521/07) auf eine monatliche Betriebsrente in Höhe von EUR 2 204,93 brutto ab dem 01.07.2005. Außerdem heißt es in der Nr. 3 des vorgenannten Vergleiches:
„Für künftige Anpassungsentscheidungen der Beklagten wird der derzeit gezahlte Betriebsrentenbetrag in Höhe von EUR 2.110,62 brutto zuzüglich des weiteren Betrages gemäß Ziffer 2 des Vergleichs in Höhe von EUR 94,31 brutto monatlich zugrunde gelegt.”
Durch eine weitere Anpassungsentscheidung wurde die Betriebsrente des Klägers ab 01.07.2008 auf EUR 2 240,16 brutto erhöht. In ihrer Anpassungsmitteilung vom 25.07.2008 begründete die Beklagte ihre Entscheidung damit, dass die Netto-Gehälter der aktiven Arbeitnehmer der I. in Deutschland im Durchschnitt in den letzten drei Jahren um insgesamt 1,57 % gestiegen seien.
Der Kläger hat, soweit zweitinstanzlich noch von Interesse, die Auffassung vertreten, die Anpassungsentscheidung zum 01.07.2008 entspreche nicht billigem Ermessen. Der Kaufkraftverlust sei durch die Anpassungsentscheidung nicht ausgeglichen worden. Er hat gemeint, dass für die Berechnung der Preissteigerungsrate nur von dem Verbraucherpreisindex 2005 auszugehen sei. Hilfsweise hat er sich auf die Berechnungen nach dem Splittingverfahren berufen, wonach bis Dezember 1999 (hilfsweise bis Dezember 2002) mit dem alten Indexwert des Preisindexes für die Lebenshaltungskosten für 4-Personen-Haushalte von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen zu rechnen sei und ab Januar 2000 (hilfsweise ab Januar 2003) mit den Werten des Verbraucherpreisindexes 2005.
Das Arbeitsgericht hat mi...